Seit dem deutlichen Anstieg der Nettozuwanderung nach Großbritannien zu Beginn der 2000er Jahre gehört das Thema Migration in der öffentlichen Wahrnehmung regelmäßig zu den größten Herausforderungen des Landes. Es lässt sich eine deutliche Parallele zwischen dem Zuwachs der Migrationszahlen, der Sichtbarkeit des Themas Migration in der Öffentlichkeit und dessen Verarbeitung in den Medien seit 2012 feststellen.
Mit der zunehmenden Präsenz des Themas ist die britische Gesellschaft insgesamt aber nicht ablehnender gegenüber Migration geworden. Im Gegenteil: Die Einstellungen insbesondere gegenüber den wirtschaftlichen Folgen von Migration haben sich verbessert. Das gilt auch für die Zeit nach dem Beginn der ‚Flüchtlingskrise‘ im September 2015.
Deutlich zugenommen haben aber die Spaltungen der britischen Gesellschaft: Jüngere Briten mit höherem Bildungsgrad und gutem Einkommen stehen Migration tendenziell positiver gegenüber als ältere Briten mit niedrigem Bildungsgrad und geringem Einkommen.
Im Wahlkampf vor dem Referendum um den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union 2016 gehörte Migration zu den entscheidenden Themen und war für die Austrittswähler das wichtigste Motiv. Die Polarisierung der Meinungen gegenüber Migration hat sich auch durch die mediale Präsenz des Themas seit 2015 verstärkt.
Das gängige Narrativ des Brexit als Revolte der ökonomisch Abgehängten erzählt nur die halbe Wahrheit: Die ablehnende Haltung vieler Briten gegenüber Migration speist sich nicht allein aus wirtschaftlichen Motiven, sondern sie hat auch eine kulturelle Dimension. Nicht nur Interessen, sondern auch Identitätsfragen spielten eine zentrale Rolle beim Referendumswahlkampf.
Der Brexit machte drei Konfliktlinien sichtbar: Einen ökonomisch kodierten Konflikt zwischen einkommensschwachen und einkommensstarken Teilen der Bevölkerung, einen räumlichen Konflikt zwischen der ländlichen (englischen) Peripherie und dem urbanen Zentrum London und einen soziokulturellen Konflikt zwischen ethnisch-nationalen und kosmopolitischen Einstellungsmustern.