Pressemitteilung
Duisburg/Essen, 13.07.2015

Griechenland kann nun auf ein drittes Hilfspaket hoffen. Wird dies genügen, um die Probleme in den Griff zu bekommen? Denn schon vor der Krise war die Wirtschaft schwach, seit fünf Jahren schrumpft sie bedenklich. Eine neue Studie* schaut exemplarisch auf den Norden des Landes, der sich gerne als das „griechische Ruhrgebiet“ sehen würde – zu Recht? Die Schwachstellen in dieser Region und das Potenzial für einen Strukturwandel beleuchten Ökonomieprofessor Dr. Ansgar Belke von der Universität Duisburg-Essen (UDE), der Brüsseler Finanzexperte Dr. Daniel Gros und der frühere Wirtschaftsminister Prof. Nicos Christodoulakis. Für ihre Analyse, die die Stiftung Mercator gefördert hat, ziehen sie als Vergleich auch NRW heran. Ein Knackpunkt ist die Schulbildung.
Für das strukturschwache Griechenland ist der Norden ein wichtiger Standort: In Thessalien, Zentral-, Ost- und Westmazedonien sind über die Hälfte der griechischen Industriezonen und knapp ein Drittel der Technologie-Institute angesiedelt; dort leben allerdings nur 33 Prozent der Bevölkerung. Es gibt Rohstoffe, etwa Braunkohle, Quecksilber oder Erdöl. Die geplante Trans-Adriatische Gas-Pipeline TAP soll durch Nordgriechenland führen.
Und doch ist die Region unproduktiver als der Rest des Landes: Die Menschen erwirtschaften nur ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts, verdienen weniger, und die Arbeitslosigkeit liegt nahe am hellenischen Durchschnitt von 28 Prozent. Es gibt kaum produzierendes Gewerbe, keine bedeutsame Industrie, und es wird wenig investiert – besonders nicht in Forschung und Entwicklung. Die internationalen Partner für den Rohstoffabbau fehlen, und der Handel mit den benachbarten Balkanstaaten ist mau.
„Was Nordrhein-Westfalen für Deutschland ist, wollen die vier nördlichen Regionen eigentlich für Griechenland sein. Dennoch kann man dort nicht von einem Motor für die Wirtschaft sprechen“, macht Professor Belke an einem Beispiel klar: „Die Wertschöpfung im großen Zentralmazedonien ist noch nicht einmal halb so hoch wie die von Münster.“
So gibt es in Nordgriechenland wirtschaftlich nicht viel, was wegbrechen könnte – anders als einst im Ruhrgebiet, wo Kohle und Stahl die Grundlage für eine starke Industrie waren, die die Menschen mit Arbeit versorgte. Wo der Strukturwandel gelang, weil unter anderem auf Bildung gesetzt wurde: Während in den 1970er Jahren weniger als zehn Prozent der Revierbevölkerung Abitur hatte, sind es heute um die 40 Prozent. Außerdem explodierten die Studierendenzahlen.
In diesem Punkt steht Griechenland gut da, stellen die Autoren heraus: 28 Prozent der Hellenen haben einen Uni-Abschluss, etwas weniger – nämlich 25 Prozent – sind es im Norden; Deutschland bzw. NRW kommen auf ähnliche Werte.
Trotzdem ist die Bildung ein Problem. Erstens: Die Uni-Absolventen finden keine Arbeit. Als „Kathedralen in der Wüste“ bezeichnen die drei Finanzexperten denn auch die griechischen Hochschulen, weil es in deren Umkreis keine Unternehmen gibt.
Zweitens: Selbst wenn sich mehr Firmen ansiedeln würden, sie fänden keine Facharbeiter. Denn Griechenland hinkt bei der mittleren Bildung hinterher. 33 Prozent der Menschen haben keinen Schulabschluss (Norden: über 40 Prozent); und wer einen hat, dem fehlt es an dem Wissen, das ein moderner Industriearbeitsplatz verlangt. Finanzexperte Belke betont, dass dies nicht den Sparmaßnahmen geschuldet ist: „Die Qualität des griechischen Schulsystems ist generell unterdurchschnittlich, ebenso seine Verwaltung durch den Staat.“
Die Autoren der Studie sprechen auch von einer verlorenen Generation: Die Hälfte der jungen Griechen arbeitet nicht; in Westmazedonien liegt die Quote gar bei 70 Prozent. Wer kann, verlässt das Land. Die meisten Jugendlichen jedoch haben es aufgegeben, überhaupt nach Jobs zu suchen. Sie müsse man weiterqualifizieren oder ihnen eine Lehre, ein Training on the job, anbieten, so wie das in Deutschland geschieht. Bei dieser beruflichen Bildung sollte die EU helfen, fordern Belke, Gros und Christodoulakis.
Nicht sehr ermutigend sehen sie insgesamt ihre Studienergebnisse. Kann der Norden, kann Griechenland den Strukturwandel überhaupt schaffen? „Ohne Reformen, auch in der maroden öffentlichen Verwaltung, und ohne Spezialisierung der Industrie wird er nicht gelingen“, sagt Ansgar Belke. „Die Erfahrung im Ruhrgebiet zeigt, dass tiefgreifender Strukturwandel Jahrzehnte braucht und nur mit einem Konsens aller politischen Kräfte umgesetzt werden kann.“
*Ansgar Belke, Nicos Christodoulakis, Daniel Gros: Lessons from the Strukturwandel in the Ruhrgebiet: Turning Northern Greece into an Industrial Champion?; Essen, 2015
Weitere Informationen:
https://www.makro.wiwi.uni-due.de/fileadmin/fileupload/VWL-MAKRO/Presse/2015/Greece_Ruhr-Mercator.pdf
Kontakt:
Prof. Dr. Ansgar Belke, Tel. 0201/183-2277, Email: ansgar.belke@uni-due.de
Redaktion: Ulrike Bohnsack, Tel. 0203/379-2429

Pressekontakt

Lothar Kuhn
Leiter Bereich Kommunikation
+49 201 24522-36
@