Pressemitteilung
Hildesheim, 13.05.2016

Seit dem Anstieg der Flüchtlingszahlen im Jahr 2015 engagieren sich viele deutsche Hochschulen für Asylsuchende. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie Geflüchteten die Aufnahme oder Fortsetzung ihres Studiums ermöglicht werden kann. Es geht darum, Potenziale der neu Zugewanderten zu heben und ihnen eine Perspektive zu geben.
Eine Studie der Universität Hildesheim, gefördert von der Stiftung Mercator, hat die Angebote für Studieninteressierte mit Fluchterfahrung nun erstmals untersucht. Die qualitative Erhebung fand an neun deutschen Hochschulen statt, darunter sieben Universitäten (Bremen, Dresden, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Freiburg, München, Oldenburg) und zwei Fachhochschulen (Lübeck, Magdeburg-Stendal). Analysiert wurden Ausprägung und Zielgruppen der Angebote, aber auch Konfliktlinien und organisatorische Herausforderungen.
Von der Gasthörerschaft für alle zur Studienvorbereitung für wenige
Im Sinne einer „Soforthilfe“ öffnete die Mehrheit der untersuchten Hochschulen zunächst die Gasthörerprogramme für alle Geflüchteten. Hinzu kamen Deutschkurse, Mentoren-Projekte oder Sportangebote. Ziel war es anfangs vor allem, den Flüchtlingen Beschäftigung im Alltag zu geben. Mittlerweile lässt sich aber eine Konzentration auf das „Kerngeschäft“ der Hochschulen ausmachen: „Die Hochschulen wählen ihre Zielgruppe heute viel bewusster aus als noch vor wenigen Monaten. Dabei spielen Studierfähigkeit und aufenthaltsrechtliche Bleibeperspektive eine wichtige Rolle“, so Hannes Schammann, Juniorprofessor für Migrationspolitik in Hildesheim und Leiter der Studie. „Die Zeit der reinen Beschäftigungsprogramme ist vorbei.“
Ein Beispiel für diesen Wandel ist die Universität Bremen, die bereits seit 2014 ein Gasthörerprogramm angeboten hatte. Zum Wintersemester 2016 stellt sie ihr Angebot komplett um. Demnächst gibt es ein „Hochschulbüro“ für ganz Bremen, bei dem sich Geflüchtete beraten lassen können.
Engagement von Mitarbeitenden und Studierenden treibt Öffnung voran
Alle untersuchten Angebote haben ihre Wurzeln im freiwilligen Engagement von Studierenden, Dozierenden oder Verwaltungsmitarbeitenden. Ihre Motivation ist es, sich an der Flüchtlingsaufnahme beteiligen zu wollen, wie ein Zitat aus einem der Interviews belegt: „Es geht um Humanität. Also ernst gemeinte Integration.
Kooperationen notwendig – aber ausbaufähig
Bislang werden Synergien mit Integrationsangeboten außerhalb des Campus nur punktuell genutzt, vereinzelt entstehen sogar Konkurrenzen. Besuchen anerkannte Flüchtlinge beispielsweise einen Deutschkurs an der Hochschule anstatt des offiziellen Integrationskurses des Bundes, kann das dazu führen, dass sie gegen ihre „Integrationskurspflicht“ verstoßen – und Leistungen gekürzt werden. Hannes Schammann betont daher: „Es ist wichtig, dass sich Hochschulen als Teil der lokalen Flüchtlings- und Integrationsarbeit begreifen.“ Auffällig ist, dass die untersuchten Fachhochschulen wesentlich intensiver mit Akteuren aus der Praxis zusammenarbeiten als die Universitäten. In Magdeburg-Stendal steht eine intensive Kooperation mit dem JobCenter im Vordergrund, in Lübeck die Zusammenarbeit mit der Volkshochschule. „Von den effizienten Kooperationen zwischen Fachhochschulen und Integrationspraxis können die Universitäten lernen“, so Schammann.
Empfundene Rechtsunsicherheit hemmt Öffnungsprozesse
Das Leben geflüchteter Studieninteressierter ist durch besondere rechtliche Herausforderungen gekennzeichnet. Wegen der „Wohnsitzauflage“ haben sie manchmal besonders lange und umständliche Anfahrtswege. Außerdem haben sie selbst nach erfolgreicher Anerkennung als Flüchtling erhebliche Schwierigkeiten, um das Studium zu finanzieren: Sie erhalten wegen der kurzen Zeit in Deutschland selten BAföG, verlieren aber bei einer Immatrikulation alle Sozialhilfeansprüche („BAföG-Falle“). An den untersuchten Hochschulen war vor diesem Hintergrund eine große Unsicherheit hinsichtlich rechtlicher Spielräume festzustellen. Da es bislang kaum Leitlinien für die Verwaltungspraxis gibt, wird eine zurückhaltende, tendenziell restriktive Auslegung begünstigt. Schammann: „Die Hochschulen wünschen sich hier Hilfe von Bund und Land.“
Weg ins Studium ist weit
Die rechtlichen Hürden und die notwendigen Sprachkenntnisse bedeuten, dass der Weg ins Studium für die meisten Flüchtlinge noch weit ist. „Die Hochschulen warnen daher vor der überzogenen Erwartung, sie könnten eine Art ‚Integrationsturbo‘ sein“, so Schammann. Die untersuchten Hochschulen stellten sich daher auf einen langen Prozess ein. Dies unterstreicht ein Zitat aus den Interviews: „Rasches Futter für die Wirtschaft kann nicht geliefert werden.“
Handlungsempfehlungen für Hochschulen und Politik
Aus den Befunden haben die Autoren gemeinsam mit Praktikern 15 Handlungsempfehlungen formuliert. Diese richten sich primär an die Hochschulen selbst, aber auch an die Landes- und Bundespolitik. Die Handlungsempfehlungen können, wie die gesamte Studie, hier abgerufen werden. 
Die Autoren
Hannes Schammann, Juniorprofessor für Migrationspolitik an der Universität Hildesheim Christin Younso, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Hildesheim
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Hannes Schammann, Juniorprofessur für Migrationspolitik Stiftung Universität Hildesheim, Institut für Sozialwissenschaften
Universitätsplatz 1, D-31141 Hildesheim
Tel.: +49 (0) 5121 / 883-10712
Mobil: +49 (0) 176 / 22998047
E-Mail: hannes.schammann@uni-hildesheim.de

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Lothar Kuhn
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