Pressemitteilung
Essen/Berlin, 23.10.2017

Eine heute in Berlin vorgestellte Studie der Universitäten Konstanz und Göttingen – gefördert von der Stiftung Mercator – zeigt: Das schlechtere Abschneiden einzelner Konfessionsgruppen im deutschen Bildungssystem ist nicht mit religiösen Faktoren zu erklären. Entscheidend für den Bildungserfolg sind in erster Linie der sozioökonomische Status des Elternhauses sowie sprachliche und kognitive Kompetenzen.
Angesichts der Ankunft hunderttausender Flüchtlinge aus islamisch geprägten Ländern wird zunehmend die „Integrierbarkeit“ muslimischer Migranten debattiert. Der geringere Bildungserfolg muslimischer Kinder und der langsamere Integrationsverlauf Türkeistämmiger werden in der öffentlichen Debatte oft auf religiöse Unterschiede zurückgeführt. Eine Studie hat nun untersucht, ob Religionszugehörigkeit oder individuelle Religiosität Einfluss auf den Bildungserfolg hat. Die Analyse basiert auf dem deutschen Datensatz des Children of Immigrants Longitudinal Survey in Four European Countries (CILS4EU), einer Panelstudie von Schülerinnen und Schülern der neunten Klasse, ihren Eltern, Lehrerinnen und Lehrern. Die zentralen Ergebnisse lauten:

  • Personen mit Migrationshintergrund sind in allen konfessionellen Gruppen tendenziell religiöser. 62 % der muslimischen Schüler ist ihr Glauben „sehr wichtig“
  • Die Leistungsmotivation unter den Muslimen ist bei den religiösen Jugendlichen etwas stärker ausgeprägt – und auch teilweise stärker als bei den Einheimischen.
  • In der Sprachverwendung zu Hause finden sich gar keine Unterschiede in Abhängigkeit von der individuellen Religiosität, wenngleich die Herkunftssprache von Muslimen häufiger verwendet wird als von anderen Konfessionsgruppen mit Migrationshintergrund.
  • Muslime haben insgesamt etwas schlechtere Noten als die meisten anderen Konfessionsgruppen. Dies lässt sich allerdings damit erklären, dass sie mehrheitlich aus Elternhäusern mit niedrigerem Sozial- und Bildungsstatus stammen und zu Hause häufiger die Herkunftssprache verwendet wird.
  • Bei gleichem Sozial- und Bildungsstatus der Elternhäuser und ähnlichen kognitiven und sprachlichen Fähigkeiten zeigen sich keine signifikanten Unterschiede in den Noten oder dem besuchten Schultyp zwischen den Konfessionen. Dies spricht gegen die Annahme, dass muslimische Schülerinnen und Schüler systematisch diskriminiert werden.

„Der Bildungserfolg muslimischer Kinder wird also weder durch deren Religiosität noch durch ethno-religiöse Diskriminierung verzögert. Er verläuft vergleichsweise langsam, weil sie mehrheitlich aus bildungsfernen Elternhäusern stammen und daher unzureichend auf die Schule vorbereitet sind“, fassen die Autoren der Studie Prof. Dr. Claudia Diehl (Universität Konstanz) und Prof. Dr. Matthias Koenig (Universität Göttingen) zusammen. „Bildungsungleichheit auf Religiosität oder Religionszugehörigkeit zurückzuführen, ist zu kurz gedacht. Stattdessen sollten Politik und Gesellschaft die Anstrengungen für frühkindliche Bildungsangebote und Ganztagsschulen ausbauen. Nur so kann man auf die individuellen Bedürfnisse von Schülern besser eingehen und die mit Migration verbundenen Herausforderungen im Bildungssystem meistern“, sagt Dr. Felix Streiter, Bereichsleiter Wissenschaft der Stiftung Mercator.

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