Die Deutschen zeigen eine große Offenheit gegenüber Einwanderung, rund die Hälfte äußert jedoch Vorbehalte im Hinblick auf die Beibehaltung der kulturellen Identität Zugewanderter.
Dies sind zwei Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage des Instituts für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld, bei der Menschen mit und ohne Einwanderungserfahrung befragt wurden. Die Studie erscheint seit 2014 in einem zweijährigen Turnus und wird von der Stiftung Mercator gefördert.
Willkommenskultur – Die Auswertung der Daten zeigt, dass die Zustimmung zu einer Willkommenskultur deutlich zunimmt (Zustimmung: 2014: 40%, 2016: 39%, 2018: 37%, 2020: 55%). Die Zustimmung wuchs während der Coronapandemie, in der Einwanderung kaum stattfand und Begegnungen zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft selten waren. Die meisten Befragten begrüßen es, wenn Einwandernde sich für Deutschland entscheiden. Mehr als die Hälfte der Befragten (62%) freuen sich, dass Deutschland vielfältiger und bunter wird; jede fünfte befragte Person lehnt das hingegen ab.
Erwartungen an die kulturelle Anpassung – Zwei Drittel der Befragten ohne Migrationsgeschichte äußerten die Erwartung, dass Migrant*innen sich mehr an die Deutschen anpassen sollten und nicht umgekehrt. 11% meinen, die Deutschen müssen sich mehr anpassen. Etwa der gleiche Anteil (61%) äußert die Erwartung, dass dies nur von den Zuwanderern geschehen soll. Menschen, die selbst nach Deutschland eingewandert sind, äußerten zu 56% diese Erwartung. Nur 14% aller Befragten gaben an, beide sollten sich einander annähern. Damit befürworten gegenüber 2014 (27%) nur noch halb so viele Menschen ohne Wanderungsgeschichte ein „Aufeinanderzubewegen“. Die politischen Auseinandersetzungen um die starke Zuwanderung in den Jahren 2015/16 und das Aufkommen des Rechtspopulismus haben deutliche Spuren auf die Einstellung zu kulturellen Anpassungsprozessen hinterlassen, folgern die Autor*innen.
Akzeptanz kultureller Eigenheiten – Die Offenheit gegenüber sichtbaren Zeichen kultureller Differenz ist bei einem Teil der Befragten deutlich eingeschränkt. So meinen 40%, dass Orte der Religionsausübung nicht sichtbar sein sollten. Für 15% gehören nicht-christliche Stätten der Religionsausübung nicht zu Deutschland, 9% akzeptieren keine auf bestimmte Herkünfte bezogene Kulturvereine und Begegnungsstätte. 17% der Befragten lehnen es ab, dass Menschen anderer Kultur Funktionen im öffentlichen Dienst wahrnehmen.
„Die Frage der Akzeptanz kultureller Eigenheiten und Identitäten ist für die Integration genauso entscheidend wie die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in Arbeit und Bildung“, gibt Studienleiter Prof. Dr. Andreas Zick zu bedenken. Soweit die kulturelle Identität mit geltenden Normen und Werten vereinbar sei, mache sie die Vielfalt einer Einwanderungsgesellschaft aus und trage zur kulturellen Entwicklung bei.
Migrationsvorstellungen – Für die Teilhabe Eingewanderter am gesellschaftlichen Leben sprechen sich fast 73% der Befragten aus, die nie gewandert sind, und 76% jener, die eine Einwanderungsgeschichte haben. Hingegen gestehen nur 48% der Befragten Migrant*innen zu, ihre kulturelle Identität aufrecht zu erhalten. Wer selbst eine Wanderungsgeschichte hat, stimmt mit 64% mehrheitlich für die Aufrechterhaltung kultureller Identitäten.
Eine Mehrheit der Befragten (44%) befürworten beides, Teilhabe und die Aufrechterhaltung kulturell wichtiger Merkmale. Die Zustimmung zur Integration sinkt hingegen deutlich: 2014: 60%; 2016: 51%; 2021: 48%, während eine Befürwortung der Assimilation, die Teilhabe aber auch Aufgabe kultureller Bedeutsamkeiten verlangt, im Vergleich zum Jahr 2016 (22%) auf 31% ansteigt. Damit hat das Niveau derer, die sich für eine Assimilation Zugewanderter aussprechen, wieder den Stand der ersten Erhebung im Jahr 2014 (29%) erreicht. Unter Befragten mit Einwanderungsgeschichte ist die Befürwortung der Integration deutlich höher (56%).
„Der Wunsch vieler Einwandernder, kulturell bedeutsame Dinge, Rituale und Identitäten aufrecht zu erhalten, bedeutet nicht, dass sie sich abschotten wollen“, erläutert Zick. Nur 5% der Befragten mit Einwanderungsgeschichte identifiziert sich nur allein nach Herkunft und als „nicht-deutsch“.
Anforderung an Zugehörigkeit – Nicht-Eingewanderte sehen als Kriterien für die Zugehörigkeit zum Land die Beherrschung der deutschen Sprache (94%), die Achtung von Werten und Traditionen (93%), eine Erwerbstätigkeit (86%), der Einsatz für die Allgemeinheit (82%) sowie die Unabhängigkeit von Sozialhilfe (82%). Hingegen finden kaum zu erwerbende Kriterien wie „Christ sein“ (28%), in Deutschland gelebt zu haben (33%) oder in Deutschland geboren zu werden (26%) weniger starken Zuspruch.
Werden die Zugehörigkeitskriterien addiert und nach der Häufigkeit der Nennung gewichtet, so werden 2020 61% der Anforderungen genannt. Die Anforderungen der Befragten an Zugewanderte sind damit gegenüber den Vergleichsjahren 2018 (47%) und 2014 (53%) gestiegen. Zu beobachten ist ein stärkerer Zuspruch zu Kriterien wie „sich deutsch fühlen“ (39%) oder „in Deutschland geboren sein“ (23%) unter Menschen, die schon länger als 5 Jahren in Deutschland leben als jenen, die noch keine 5 Jahre im Land sind (12%). Auch in den anderen Kriterien der Zugehörigkeit nähern sich Eingewanderte mit der Dauer ihres Lebens in Deutschland immer stärker den Nicht-Zugewanderten an.
Rassismus – 33% der Befragten, die nach Deutschland eingewandert sind, geben an, sehr oft oder oft rassistischen Beschimpfungen ausgesetzt zu sein. „Nur Teilhabe in Arbeit und Bildung reichen nicht aus“, so Andreas Zick. Der Schutz vor Herabwürdigung ist eine Minimalanforderung, die ein Einwanderungsland wie Deutschland leisten müsse. „Rassismus bremst den Prozess der Integration“, so Zick.
Das Forschungsteam plädiert für eine Perspektive auf die Einwanderungsgesellschaft Deutschlands, die kulturelle Prägungen und Unterschiede einschließt, diese jedoch nicht überbetont. „Der Alltag der Menschen in Deutschland mit und ohne Einwanderungsgeschichte ist kein Leben zwischen Kulturen, sondern mit Kulturen. Niemand gründet im Alltag sein gesamtes Handeln kulturell oder religiös“, so Andreas Zick. Mit dieser Perspektive würden Populisten und Rechtskonservative ständig Differenzen behaupten und Befürchtungen erzeugen, die bei einem Teil der Bevölkerung verfangen oder ohnehin vorhanden sind. So stimmt es 36% der Befragten negativ und ängstlich, wenn sie hören, dass Bräuche, Werte und Traditionen von Migrant*innen in wenigen Jahren gleichwertig sein werden.
Helfen könnte eine zugewandte Einwanderungspolitik, die den Prozess des Ankommens unterstützt und durch Bildung und Kommunikation begleitet. „Wir sehen hier die Länder in der Verantwortung, in der schulischen und außerschulischen Bildung Grundfragen kultureller Anpassungsprozesse stärker zu verankern“, so Michael Schwarz, Geschäftsführer der Stiftung Mercator. „Wir müssen besser vermitteln, wie Menschen sich Kulturen aneignen und sich Gesellschaft ständig verändert.“
Kreise und Kommunen, die z.B. mehr Geflüchtete aufnehmen möchten, besondere Maßnahmen für die Bildung Eingewanderten anbieten oder interkulturelle Stadtplanungen und längerfristige Integrationsmaßnahmen entwickeln wollen, sollten dafür aus einem Sonderfonds Mittel abrufen können, fordert Zick.
Zudem müsse die Zukunft der Migration dauerhaft oben auf der Agenda der Politik bleiben. Im Wahlkampf werde dieses Thema lieber ausgeblendet, so die Studie. „Migration war immer ein Konfliktthema. Umso mehr liegt es in der Verantwortung der Politiker und Politikerinnen, ihre Konzepte im Hinblick auf die Migration darzustellen“, so Andreas Zick. „Die Studie zeigt: Die Politik kann auf eine Gesellschaft bauen, die bei allen Differenzen, Herausforderungen und Konflikten Migration als Alltag und Bereicherung sieht. Die Mehrheit von 53% der Befragten stimmt der Aussage zu „Das Zusammenleben mit Migranten wird den Zusammenhalt in Deutschland stärken.“
EXPERTENKONTAKT
Dr. Nora Krott | Universität Bielefeld | Koordinatorin
nora.krott@uni-bielefeld.de | 0521.106-3384
Prof. Dr. Andreas Zick | Universität Bielefeld | Studienleiter
zick.ikg@uni-bielefeld.de | 0521.106-67845
Über das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld
Das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) ist eine zentrale wissenschaftliche Einrichtung der Universität Bielefeld. Seit 25 Jahren forscht das IKG in drittmittelgeförderten Projekten zu innergesellschaftlichen Konflikten. Zentrale Forschungsthemen sind Radikalisierung und Extremismus, Vorurteile, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Diskriminierung sowie Migration, Akkulturation und sozialer Wandel. Das IKG ist Teilinstitut des Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt.