Pressemitteilung
15.09.2010

Berlin, 14. September 2010. „Die Sarrazin-Debatte hat“, erklärte der Vorsitzende des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) Prof. Klaus J. Bade, „eine desintegrative Eigendynamik an der Grenze zu Hysterie und Panik entwickelt. Sie kann zerstören, was sie eröffnen könnte: eine sachliche Auseinandersetzung mit Erfolgen, Problemen und Aufgaben im Feld von Integration und Migration“, wie der SVR sie schon in seinem Jahresgutachten ‚Einwanderungsgesellschaft 2010‘ formuliert hat. Der SVR benennt dazu fünf konkrete Aufgabenfelder:

1.    Zuwanderungssteuerung: Die Zahlen zuziehender Hochqualifizierter beginnen langsam zu steigen. „Sie reichen aber bei weitem nicht aus, um zusammen mit einer Qualifikationsoffensive im Innern den Zukunftsbedarf in Deutschland zu decken.“ Die bislang entwickelten Steuerungsinstrumente sollten in eine „zuwanderungspolitische Generalreform“ eingearbeitet werden. Der SVR hat dazu im letzten Jahr ein Drei-Säulen-Modell der Zuwanderungssteuerung vorgelegt. Überfällig ist ferner die Verabschiedung des Gesetzes zur beschleunigten Anerkennung ausländischer Abschlüsse. Vom dem legitimen wirtschaftlichen Interesse an Zuwanderungssteuerung darf die humanitäre Pflicht zur Aufnahme von Flüchtlingen nicht in den Hintergrund gedrängt werden.

2.    Frühkindliche Förderung: Dringlich ist zudem die Umsetzung von auf Länderebene entwickelten Vorschlägen für die zeitliche Vorverlagerung der Schulpflicht sowie von zwei obligatorischen kostenlosen Kindergartenjahren bei nicht ausreichenden Deutschkenntnissen. „Das geplante Betreuungsgeld ist kontraproduktiv und sollte besser für den Ausbau der Kindertagesstätten genutzt werden“, so Bade.

3.    Schulische Bildung: Der SVR-Vorsitzende fordert eine „unaufgeregte Schulreform, eine Verzahnung der Kinder- und Jugendhilfe mit der schulischen Förderung, den Ausbau von gebundenen Ganztagsschulen und die Ausbildung leistungsanregender Schulprofile in sozial benachteiligten bzw. belasteten Wohnvierteln.“ Er empfiehlt ferner „verbindliche Verträge zwischen Schulen und Eltern“, mit dem für beide Seiten „verpflichtenden Auftrag, bei der Bildungsförderung der Kinder zusammen zu arbeiten.“ Nötig ist eine gestärkte Stellung der Lehrer und im Falle von Schulverweigerung, sozialer Entgleisung oder gar Anzeichen von Jugendkriminalität eine engere behördliche Kooperation. „Jugendschutz geht vor Datenschutz.“

4.    Nachholende Integrationsförderung: Wo schulische Bildung und berufliche Ausbildung nicht oder nicht zureichend wirken konnten, müssen verstärkt „flexible altersspezifische und arbeitsmarktorientierte Konzepte zur nachholenden Integrationsförderung bzw. Weiterqualifikation“ aufgelegt werden. Ihr Ziel muss sein, eine wirtschaftlich eigenständige Lebensführung zu ermöglichen, die Sozialtransfers zu entlasten und dem Arbeitsmarkt das aus demografischen Gründen immer knapper werdende Potential zu erschließen.

5.    Integrationspolitik in der öffentlichen Diskussion: Das neue bundesweite Integrationsprogramm hat einen missverständlichen Titel, weil Integration weitestgehend Ländersache ist. Es fasst aber die Angebote auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene gut zusammen und „bietet eine grundlegende Orientierungshilfe für die konkrete Integrationsarbeit.“ Der SVR kritisiert jedoch die Rede von ‚Integrationsverweigerern‘ bei der Präsentation des Programms. „Das fördert in der öffentlichen Diskussion blinde Denunziationen ohne zureichende Datenbasis.“ Zugleich bemängelt der SVR eine „vorwiegend defensive Positionierung zu Integration und Integrationspolitik in der Debatte“: Vermeintliche Unsicherheiten in der gesellschaftspolitischen Kernfrage Integration könnten rechtspopulistische Strömungen für ihre Zwecke nutzen. Nötig ist eine „konzeptorientierte Versachlichung der Diskussion“ auf der Grundlage einer kritischen Erfolgsbilanz, wie sie der SVR in seinem Jahresgutachten ‚Einwanderungsgesellschaft 2010‘ vorgelegt hat.

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Über den Sachverständigenrat
Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration geht auf eine Initiative der Stiftung Mercator und der VolkswagenStiftung zurück. Ihr gehören acht Stiftungen an. Neben der Stiftung Mercator und der VolkswagenStiftung sind dies: Bertelsmann Stiftung, Freudenberg Stiftung, Gemeinnützige Hertie-Stiftung, Körber-Stiftung, Vodafone Stiftung und ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius. Der Sachverständigenrat ist ein unabhängiges und gemeinnütziges Beobachtungs-, Bewertungs- und Beratungsgremium, das zu integrations- und migrationspolitischen Themen Stellung bezieht und handlungsorientierte Politikberatung anbietet. Die Ergebnisse seiner Arbeit werden in einem Jahresbericht veröffentlicht.

Dem SVR gehören neun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen und Forschungsrichtungen an: rof. Dr. Klaus J. Bade (Vorsitzender), Prof. Dr. Ursula Neumann (Stellv. Vorsitzende) sowie Prof. Dr. Michael Bommes, Prof. Dr. Heinz Faßmann, Prof. Dr. Yasemin Karakaşoğlu, Prof. Dr. Christine Langenfeld, Prof. Dr. Werner Schiffauer, Prof. Dr. Thomas Straubhaar und Prof. Dr. Steven Vertovec.

Weitere Informationen unter: www.svr-migration.de

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