Pressemitteilung
10.09.2014

Die deutsche Bevölkerung stimmt nach einer repräsentativen Umfrage dem Prinzip der Gleichheit und Gleichwertigkeit von Deutschen ohne Migrationshintergrund und Zugewanderten mehrheitlich zu. Wenn es allerdings um die Umsetzung im Alltag geht, sind viele reserviert und hängen an alten Vorrechten. Dabei überschätzen viele Befragte ihre Integrationsbereitschaft und Toleranz. Zu diesen Ergebnissen kommt die Studie „ZuGleich – Zugehörigkeit und Gleichwertigkeit“ des Instituts für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) an der Universität Bielefeld, die von der Stiftung Mercator gefördert und heute bei einer Pressekonferenz in Berlin präsentiert wurde.
„Bürger sind widersprüchlich, wenn es um die Frage nach Integration in einer modernen offenen Gesellschaft geht. Das Integrationsklima ist auf den ersten Blick gut – aber wenn es darum geht, Integration als gegenseitigen Prozess der Veränderung zu verstehen, dann ziehen schnell alt hergebrachte Muster der Verschiedenheit von Personen mit und ohne Migrationshintergrund ein", erläutert Andreas Zick, Leiter der Studie am IKG, die Ergebnisse. „Allerdings können wir auch festhalten, dass die Mehrheit der Bürger positiv gegenüber Migranten eingestellt ist – ganz besonders jene, die schon eingewandert sind. Hier gilt es anzusetzen, und dabei könnten Menschen mit Migrationserfahrung eine große Hilfe sein", so Zick weiter. Die Ergebnisse der Studie belegen, dass ein Teil der Reserviertheit gegenüber Integrationsveränderungen auch auf Vorurteile und auf die zunehmende Angst, selbst abgehängt zu werden, zurückzuführen sind.
Es braucht mehr Verantwortungsbewusstsein in der deutschen Mehrheitsgesellschaft
Im Einzelnen zeigt die Studie deutlich, dass die Mehrheit der Bürger eine stärkere Willkommenskultur und Diversität in Deutschland begrüßt, in der Unterstützung des „Ankommens“ jedoch selbst zurückhaltend und passiv bleibt. Viele schätzen die zunehmende Vielfalt und äußern sich wohlwollend darüber, dass sich immer mehr „Migranten in Deutschland zu Hause fühlen“. Auch „Integration“, verstanden als ein Prozess, der von beiden Seiten Anerkennung und Kooperation erfordert, stößt ideell auf großenAnklang. „Geht es allerdings um die Frage, wer sich auf wen zubewegen soll, wird von vielen Befragten doch wieder auf die einseitige Anpassungsleistung, die Assimilation der Einwanderer, bestanden", berichtet Madlen Preuß, Koordinatorin der Studie am IKG. „Über ein Drittel verweigern hier Engagement und Unterstützung, um Migranten das ‚Ankommen‘ zu erleichtern."
Zugehörigkeit: Sprachkenntnisse und Verfassungstreue an erster Stelle
Deutsche mit und ohne Migrationshintergrund sind sich weitgehend einig, wenn es um die Kriterien dafür geht, wann jemand zur deutschen Gesellschaft gehört. An erster Stellestehen bei allen Befragten die Beherrschung der deutschen Sprache und die Achtung deutscher Politinstitutionen und Gesetze. Allerdings zeigt sich im direkten Vergleich, dass die deutsche Mehrheitsgesellschaft sehr viel häufiger die deutsche Staatsangehörigkeit oder Deutschland als Geburtsland fordert, während Eingewanderte eine Erwerbstätigkeit oder ehrenamtliches Engagement für wichtiger halten. „Das heißt für uns: Die Bemessung und Anerkennung der Zugehörigkeit zur deutschen Gesellschaft macht spätestens dann Halt, wenn Kriterien ins Spiel kommen, die nur schwer erfüllbar sind“, so Zick.
Gleichheit: Die Rechte der Deutschen sind gleicher?
Der Widerspruch setzt sich fort, wenn das Prinzip der Gleichheit in den Fokus rückt. Laut der Studie sind sich rund 86 Prozent der Befragten einig, dass alle Menschen über die gleichen Rechte verfügen sollten. Ausgehebelt wird dieser Grundsatz jedoch, sobald bisherigePrivilegien und Vorrechte der deutschen Mehrheitsgesellschaft abgegeben werden müssen, um die gleichen Rechte auch für alle etablieren zu können. So sinkt die Zustimmung zum Gleichheits-Prinzip drastisch, wenn die Teilhabe aller auch einen Verzicht auf bisherige Vorrechte erforderlich macht. So zeigt sich, dass nahezu ein Drittel aller Befragten (30,9Prozent) zwar gleiche Rechte für Neuhinzugekommene unterstützt, jedoch gleichermaßen meint, man müsse „sich erst einmal mit weniger zufrieden geben“, wenn man später hinzukommt (32,4 Prozent). Etwa 18,0 Prozent der Befragten hält es darüber hinaus beispielsweise für selbstverständlich, dass den ‚Neuen‘ „genauso viel zusteht wie allenanderen auch“, erkennt ihnen allerdings gleichzeitig das Recht ab, „Ansprüche zu erheben“(19,8 Prozent).
Plädoyer für mehr Toleranz und mehr Vielfalt
„Die mehrheitliche Zustimmung zur zunehmenden Vielfalt in Deutschland zeigt, dass der richtige Weg eingeschlagen ist. Damit chancengleiche Teilhabe aller und ein gesamtgesellschaftlicher Zusammenhalt aber tatsächlich gelingen kann, müssen wir uns noch mehr für die Selbstverständlichkeit sprachlicher, kultureller und weltanschaulicher Vielfalt einsetzen“, resümiert Winfried Kneip, Geschäftsführer der Stiftung Mercator.
Ressentiments gegen Minderheiten bremsen Zugehörigkeit und Gleichwertigkeit
Eine Abwertung und Feindlichkeit gegenüber ethnischen und kulturellen Minderheiten zeigt sich insbesondere mit Blick darauf, dass sich Ressentiments gegenüber Sinti und Roma, Asylbewerbern und Muslimen halten. Mehr als jeder Fünfte äußert gegenüber diesen Personengruppen starke Vorurteile und Ablehnung. Auch antisemitische und rassistische Agitation finden immer noch Anklang in der deutschen Bevölkerung; mindestens jeder zehnte Bürger stimmt einer natürlichen Hierarchie zwischen Völkern zu und unterstellt Juden, sie würden von der Holocaust-Vergangenheit profitieren wollen. Je größer die Ablehnung von Diversität und Integrationskultur, desto stärker fällt auch die allgemeine Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit aus. Das heißt gleichzeitig, ein „Ja“ zur Integrationund zur Vielfalt bedeutet ein „Ja“ zur generellen Anerkennung verschiedenster Gruppen, die keinesfalls nur auf die Akzeptanz kultureller oder ethnischer Gruppen beschränkt bleibt. Das heißt: Personen, die Vorurteile gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund haben, lehnen gleichzeitig auch häufig andere Minderheitengruppen in Deutschland ab, wie beispielsweise wohnungs- oder arbeitslose Gruppen. Der Anteil der Befragten, der der Aussage zustimmt, dass Migranten in die Heimat zurückkehren sollten, wenn die Arbeitsplätze knapp werden (Zustimmung 8,1 Prozent), ist nahezu identisch mit dem Anteilder Befragten, die Homosexualität unmoralisch finden (8,6 Prozent) oder die meinen, Frauen sollten sich auf ihre traditionelle Rolle besinnen (8,8 Prozent). Diese Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit bremst Versuche der Öffnung und des positiven Miteinanders aus.
Hier knüpft die Studie an eine langjährige Studienreihe des Instituts an, die immer wiederbelegte, wie schwerwiegend und stabil Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit Integrationsbemühungen entgegensteht.
Die Studie „ZuGleich – Zugehörigkeit und Gleichwertigkeit“
Die Studie „ZuGleich – Zugehörigkeit und Gleichwertigkeit“ ist als Nachfolgeprojekt der Untersuchung Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (GMF; 2002 – 2011) angelegt. Im Fokus stehen die wesentlichen Kernfragen zur Integrationsgemeinschaft, die Anerkennung einer allgemeinen Gleichwertigkeit und die Zugehörigkeit zur deutschen Gesellschaft. Die Studie „ZuGleich“ ist eine wissenschaftliche Umfragestudie und basiert auf einer anonymen und repräsentativen Querschnitts-Befragung von insgesamt 2.006 volljährigen Personen zwischen November 2013 und Januar 2014 in Deutschland. Das Projekt wurde von Prof. Dr. Andreas Zick (Leiter des IKG) sowie MA Soz. Madlen Preuß (IKG) durchgeführt. Teile des Projektes basieren auf dem beendeten Projekt Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (GMF), das in der Reihe „Deutsche Zustände“ (Suhrkamp) veröffentlicht wurde.
Weitere Informationen und den Zwischenbericht zum Download finden Sie unter: http://www.uni-bielefeld.de/ikg/projekte/ZuGleich.html
Pressekontakt
Institut für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG), Universität Bielefeld
Prof. Dr. Andreas Zick, Leiter ZuGleich (0521 106-2442; wilhelm.berghan@uni-bielefeld.de)

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Lothar Kuhn
Leiter Bereich Kommunikation
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