Wie flexibel soll die EU sein? Die Debatte über eine flexible Union, in der kleinere Gruppen von Mitgliedstaaten schneller voranschreiten, ist so alt wie die Union selbst. Der Vorteil: So bleibt die Gemeinschaft handlungsfähig. Kritiker befürchten wiederum, dass die Gruppenbildung den Zusammenhalt in Europa gefährdet und den Zerfall der Staatengemeinschaft weiter vorantreibt.
Um herauszufinden, was die politischen Entscheider in der 28 Mitgliedstaaten von der Idee einer flexibleren EU halten, hat ein Forscherteam des European Council on Foreign Relations (ECFR) über 100 Regierungsmitarbeiter, Wissenschaftler und Experten aus allen Mitgliedstaaten befragt.
Die Studie zeigt, die Mehrheit der EU-Mitglieder verlangt nach einer flexibleren Zusammenarbeit. Lediglich Dänemark, Griechenland, Zypern und Luxemburg äußerten starke Vorbehalte gegen eine wachsende Flexibilisierung. In Zeiten, wo Vertrauen in die EU auf ein Allzeittief gesunken ist, sprechen sich dreiviertel der Staaten für die Förderung einer flexibleren Zusammenarbeit aus, um endlich wieder die Vorteile gemeinsamen Handelns aufzuzeigen.
Uneinigkeit herrscht jedoch darüber, wie die flexible Zusammenarbeit aussehen soll. Fast vier von fünf EU-Staaten bevorzugen eine „Zusammenarbeit auf Grundlage von Bestimmungen in den EU- Verträgen“, trotz der institutionellen Hürden, die diese mit sich bringen. Grund dafür sind berechtigte Bedenken über die potenziell spalterischen Auswirkungen flexibler Zusammenarbeit. Deshalb bevorzugt eine große Mehrheit flexible Kooperation im Sicherheitsnetz des EU-Rahmens.
Widersprüchlich ist hingegen die Haltung von Ungarn, Polen und Großbritannien. Diese drei Länder befürworten zwar eine Flexibilisierung, allerdings aus anderen Gründe als die übrigen Mitgliedstaaten, die Flexibilität für eine Chance halten, das Vertrauen in die multilaterale Zusammenarbeit wiederherzustellen. Die drei „Rebellen“ sehen darin eher eine Möglichkeit, ihre Eigeninteressen gegenüber der EU auszuspielen und nationale Souveränität wiederzugewinnen.
Almut Möller, Leiterin des ECFR-Büro in Berlin und Co-Autorin der Studie, erklärt: „In den europäischen Hauptstädten findet ein Umdenken statt. Der bevorstehende Brexit ist ein klares Zeichen für Desintegration, noch dazu nimmt der Druck von innen und außen auf den europäischen Zusammenhalt weiter zu. Die Bereitschaft einer Mehrheit der EU-Mitglieder wächst, das Risiko unterschiedlicher Geschwindigkeiten einzugehen. Dass diese Option nun als Lösung gepriesen wird, dem weiteren Zerfall der EU entgegenzuwirken, entbehrt nicht einer gewissen Ironie.“
Über die Ergebnisse der im Februar 2017 abgeschlossenen Studie hinaus, fügt ECFR Senior Policy Fellow Josef Janning hinzu: „Es gibt Anzeichen dafür, dass die Mitgliedstaaten demnächst offen Gedanken über Schengen-ähnliche Initiativen außerhalb der EU-Verträge machen.“
Hinweise an die Redaktion
Die ECFR Flash Scorecard „The Future Shape of Europe: How the EU can bend without breaking“ können Sie hier herunterladen.
Die Forschungsarbeit zu dieser Publikation ist über das Projekt Rethink: Europe von Stiftung Mercator gefördert.
Almut Möller, Leiterin des Berliner ECFR-Büro steht für Interviews zu Verfügung. Schicken Sie ihre Anfragen bitte an Wiebke Ewering, Pressereferentin: wiebke.ewering@ecfr.eu
Der European Council on Foreign Relations (ECFR) ist ein preisgekrönter pan-europäischer Think Tank, der europäische Sichtweisen in nationale politische Diskurse einbringt, Perspektiven für eine gemeinsame europäische Außenpolitik aufzeigt und sich für die Weiterentwicklung des europäischen Integrationsprozesses engagiert. Der ECFR ist eine unabhängige gemeinnützige Organisation, die sich aus verschiedenen Quellen finanziert. Mehr Informationen unter www.ecfr.eu/about/donors