Pressemitteilung
Berlin/Kiel, 12.02.2016

Die Forschungsgruppe JUNITED am Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung veröffentlicht mit Förderung der Stiftung Mercator und des Landes Schleswig-Holstein die Studie „Schleswig-Holstein postmigrantisch“, eine repräsentative Umfrage, die sich mit den Einstellungen der Bevölkerung Schleswig-Holsteins zu Musliminnen und Muslimen befasst. Die Ergebnisse stammen aus Daten, die im Rahmen einer deutschlandweiten Befragung erhoben worden sind und deren Durchführung im April 2014 abgeschlossen wurde. Damit wurde die Umfrage zu einem Zeitpunkt durchgeführt, der nicht von gesellschaftlichen Verunsicherungen gekennzeichnet war, wie derzeit durch die Debatten um Geflüchtete. Sie fängt somit eine Grundstimmung der Bevölkerung des Landes Schleswig-Holstein an einem tendenziellen Ruhepol ein, der deutlich macht: Obwohl nicht wenige Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner einzelne Vorurteile gegenüber Musliminnen und Muslimen teilen, gibt es auf einer abstrakten Ebene in diesem Bundesland eine hohe Offenheit gegenüber Muslimen als größter religiösen Minderheit: Dreiviertel (74,4 Prozent) der Menschen in Schleswig Holstein sind der Meinung, dass die eigene Gruppe Musliminnen und Muslimen mehr Anerkennung entgegenbringen sollte. Tatsächlich ist Schleswig-Holstein ein Land, welches sich durch seinen Umgang mit nationalen Minderheiten und Volksgruppen auszeichnet und deren Rechte explizit auch in der Verfassung verankert hat. Auch für viele andere tendenziell benachteiligte Gruppen (z.B. Kinder und Jugendliche, pflegebedürftige Menschen) verpflichtet sich das Land zu einem Schutz. Auffallend ist, dass die Landesverfassung jedoch keinen eigenen Artikel kennt, der die Religion und Religionsgemeinschaften schützt.
Einstellungen gegenüber Musliminnen und Muslimen in Schleswig-Holstein überwiegend positiv – aber negative Einstellungen nicht zu unterschätzen
Insgesamt werden zentrale Vorurteile gegenüber Musliminnen und Muslimen von einer großen Mehrheit der Bevölkerung Schleswig-Holsteins abgelehnt. So sieht eine deutliche Mehrheit (79 Prozent) der Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner Musliminnen und Muslime nicht als eine soziale Belastung in Deutschland und widerspricht damit einem Stereotyp welches besonders im Zuge der Sarrazin-Debatte bundesweit diskutiert wurde. Auch würden Zweidrittel der Schleswig-Holsteiner/innen Muslime nicht als aggressiver einschätzen und knapp 60 Prozent als genauso bildungsorientiert wie sie selbst.
Gleichzeitig wären deutlich mehr als ein Drittel (35,1 Prozent) nicht bereit, das eigene Kind auf eine Schule zu schicken, in dem jedes vierte Kind muslimisch wäre. Die abstrakte Offenheit lässt sich also im konkreten nicht gleichermaßen wiederfinden. Außerdem gibt es auch eine nicht unerhebliche Zahl an Befragten in Schleswig-Holstein, bei denen Stereotypisierungen der Gewaltbereitschaft von Muslimen Anklang finden: So meinen dennoch fast 25 Prozent der befragten Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner, Musliminnen und Muslime in Deutschland seien aggressiver als sie selbst. Ungefähr jeder Fünfte (22 Prozent) findet, dass Muslime viele Dinge in Deutschland bedrohen, die die Befragten für gut und richtig halten.
Auch hinsichtlich religionspolitischer Fragen gibt es ablehnende Haltungen
Mehr als 60 Prozent der Schleswig-Holsteinischen Bevölkerung sprechen sich gegen die Beschneidung von Jungen aus, obwohl dieses Recht gesetzlich verankert ist und 40,3 Prozent der Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner sprechen sich für die Einschränkung beim Bau öffentlich-sichtbarer Moscheen aus, obwohl es ein grundgesetzlich garantiertes Recht religiöser Minderheiten ist, ihre Religion frei auszuüben und Gotteshäuser zu bauen. Gleichzeitig jedoch befürworten ca. 70 Prozent den islamischen Religionsunterricht. Es ist also eine ambivalente Positionierung mit partiellen Zugeständnissen und vielfachen Einschränkungen der Gleichheitsrechte.
Prof. Dr. Naika Foroutan, Leiterin des Forschungsprojekt JUNITED und stellvertretende Direktorin des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM), merkt hierzu an: „Postmigrantische Gesellschaften zeichnen sich unter anderem durch die Auseinandersetzung um Rechte von Minderheiten aus. Die Einführung eines islamischen Religionsunterrichts nach Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes und die Verabschiedung vertraglicher Vereinbarungen mit muslimischen Verbänden analog zu den Staatskirchenverträgen mit der katholischen und evangelischen Kirche wären hierbei wichtige Schritte. Doch neben konkreten Einzelmaßnahmen sollte überlegt werden, die Bedeutung von Religionsgemeinschaften und den Schutz und die Förderung einer gleichberechtigten religiösen Pluralität ebenfalls in die Landesverfassung aufzunehmen, um hier klare Signale der Gleichwertigkeit zu setzen.“
Interessant ist: Das Kopftuch bei Lehrerinnen wird in Schleswig-Holstein deutlicher befürwortet als im restlichen Bundesgebiet. In Schleswig-Holstein spricht sich eine Mehrheit von 55,1 Prozent für das Recht muslimischer Lehrerinnen aus, ein Kopftuch zu tragen. In der multivariaten Analyse – unter Kontrolle soziodemographischer Merkmale der Befragten – zeigt sich, dass Schleswig-Holstein sich hier signifikant vom restlichen Bundesgebiet unterscheidet und sich als offener erweist. Möglicherweise haben die politischen Diskussionen um ein Kopftuchverbot und die Erkenntnis, dass ein solches sämtliche religiösen Symbole gleichermaßen umfassen müsste und tief in die religiösen Grundrechte von Minderheiten eingreifen würde, Wirkung hinterlassen.
Wenig Wissen, seltener Kontakt
Ein Großteil der Schleswig-Holsteinischen Befragten (ca. 77 Prozent) schätzt ihr Wissen über Musliminnen und Muslimen als gering ein und fast 70 Prozent überschätzen den Anteil der Musliminnen und Muslime an der Bevölkerung in Deutschland. Ihr Wissen beziehen Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner dennoch vor allem aus Gesprächen mit Musliminnen und Muslimen (ca. 46 Prozent).
Was die Kontakthäufigkeiten zu Musliminnen und Muslimen anbelangt, so haben in Schleswig-Holstein 21 Prozent sehr oft/oft und 40 Prozent manchmal/selten Kontakt zu Musliminnen und Muslimen im Freundes-/Bekanntenkreis.
Obwohl also die Kontakthäufigkeit nicht besonders hoch ist, sind die Einstellungen der Bevölkerung Schleswig-Holsteins gegenüber Musliminnen und Muslimen auf einem hohen Niveau positiv. Das lässt darauf deuten, dass die Wahrnehmung von Vielfalt und Diversität in Schleswig-Holstein als Normalität gilt, zu der selbstverständlich auch Musliminnen und Muslime gehören. Ob sich diese Einstellungen im Zuge der aktuellen Debatten um Flüchtlinge verändert haben, lässt sich auf Basis des vorliegenden Datensatzes nicht sagen.
Die Studie „Schleswig-Holstein postmigrantisch“ kann unter dem folgenden Link heruntergeladen werden: http://junited.hu-berlin.de/schleswig-holstein-postmigrantisch-2016
Die Forschungsgruppe JUNITED Die Forschungsgruppe JUNITED – Junge Islambezogene Themen in Deutschland untersucht das Reaktionsspektrum auf das sich wandelnde Einwanderungsland Deutschland in Bezug auf die Themen Islam und Muslime aus transdisziplinärer Perspektive. Die Forschungsgruppe ist unter der Leitung von Prof. Dr. Naika Foroutan im Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) an der Humboldt-Universität zu Berlin angesiedelt. JUNITED ist ein Förderprojekt der Stiftung Mercator.
http://junited.hu-berlin.de
Das Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) Das Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) wird durch die Gemeinnützige Hertie-Stiftung (Förderpartner), den Deutschen Fußball-Bund (DFB / Förderpartner), die Bundesagentur für Arbeit (BA / Unterstützungspartner) und die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (Unterstützungspartnerin) gefördert und unterstützt.
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