„Das Bildungs- und Teilhabepaket geht an Kindern und Jugendlichen aus einkommensschwachen Familien vorbei und muss von der kommenden Bundesregierung grundlegend reformiert werden.“ Darauf verwies Prof. Dr. Holger Noltze, Sprecher des Rates für Kulturelle Bildung, mit Blick auf neueste Zahlen der Bundesagentur für Arbeit für den März 2017. „Seit Jahren nehmen nicht einmal zehn Prozent der berechtigten Kinder und Jugendlichen ihnen zustehende Leistungen für soziokulturelle Teilhabe nach dem SGB II in Anspruch. Hinzu kommen ungenutzte Mittel für soziokulturelle Teilhabe nach dem SGB XII und für Kinder von Asylbewerbern. Insgesamt liegen jährlich Beträge im dreistelligen Millionenbereich bundesweit brach. Es ist kaum auszumalen, welche Chancen für Heranwachsende im Bereich der Kulturellen Bildung hierdurch verschenkt werden. Selbst das Bundesministerium für Bildung und Arbeit stellt in seinem Schlussbericht fest, dass das BuT als viel zu bürokratisch empfunden wird und zudem stigmatisierend wirkt. Eine neue Bundesregierung muss dieses Problem der Teilhabegerechtigkeit schnellstens mit einer umfassenden BuT-Reform angehen.“
58 Millionen Euro für Soziokultur gehen jährlich an NRW vorbei
Auffällig ist die unterschiedliche Nutzung von BuT-Leistungen je nach Region, wie die neuesten Zahlen der Bundesagentur für Arbeit es beispielsweise in Nordrhein-Westfalen zeigen. Was schon in anderen Bundesländern teilweise sichtbar wurde, zeigt sich in NRW aktuell besonders deutlich: Städte wie Hamm, Münster oder der Kreis Steinfurt haben Chip-Karten zur Entbürokratisierung für die Abwicklung der Leistungen eingeführt und zeigen Quoten für die Inanspruchnahme von bis zu 50 Prozent bei den BuT-Leistungen für soziokulturelle Teilhabe. Üblich sind Werte von lediglich vier oder fünf Prozent in vielen Regionen des Landes. Allein im Bereich des SGB II gehen NRW für die Anspruchsberechtigten Kinder und Jugendlichen jährlich rund 58 Millionen Euro an Bundesmitteln für soziokulturelle Teilhabe verloren, so die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit zum Berichtsmonat März. Diese Summe macht mehr als ein Drittel des gesamten Kulturhaushaltes des Landes Nordrhein-Westfalen aus. Noltze dazu: „Allein wenn man sich das vor Augen hält, liegt neben einer Forderung an die kommende Bundesregierung auch eine Bundesrats-Initiative für strukturelle Verbesserungen im BuT geradezu auf der Hand.“
Stigmatisierung derer, die ohnehin schon am Rande stehen
Auch in anderen Bundesländern haben Städte wie Stuttgart oder Oldenburg unter zum Teil großen, auch datenschutzrechtlichen Anstrengungen erfolgreiche Kartensysteme eingeführt, die zur unentgeltlichen Abwicklung gleich mehrerer Transfer-Leistungen und unbarer Zahlung für öffentliche Angebote dienen: etwa bei der Mittagsverpflegung, der Lernförderung oder der soziokulturellen Teilhabe im Rahmen von BuT-Leistungen; andererseits ergänzt etwa um Zahlungsmöglichkeiten im Öffentlichen Nahverkehr oder gar zum Entleihen von Medien in der Stadtbücherei. Die einheitliche Karte für alle macht dabei unkenntlich, ob das jeweilige Kind aus einer Familie stammt, die Leistungsempfänger nach den Sozialgesetzbüchern ist oder nicht. Noltze weiter: „Natürlich sind Karten-Systeme nicht der alleinige Weg. Ihre Einführung kostet Geld und datenschutzrechtliche Anstrengungen. Dennoch muss man sich vor Augen halten, wie viel Geld der Modus vivendi im Bildungs- und Teilhabepaket verschlingt. Die Bürokratiekosten beziffert das Statistische Bundesamt auf 194,8 Millionen Euro pro Jahr.“ Auch spreche der Schlussbericht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) deutlich an, dass Verfahren mit Papier-Gutscheinen Kinder und Jugendliche als ‚Hartz-IV-Kinder‘ stigmatisiere und echte kulturelle Teilhabe dadurch erschwere. „Wieder einmal werden die stigmatisiert, die ohnehin schon am Rande stehen“, so Noltze weiter.
Tatsächlich sind es nur 9,27 Euro pro Kind im Monat
Bereits der zweite Zwischenbericht des BMAS habe auf Basis der Auswertungen des statistischen Bundesamtes festgestellt, dass bundesweit pro Montag rund 14,7 Millionen Euro an Bürokratiekosten für die BuT-Mittel zur soziokulturellen Teilhabe in den Antragsbehörden entstehen. Hinzu kommen rund 11 Millionen Euro an Verwaltungskosten für die Leistungserbringer, etwa Sportvereine, Musik- oder Jugendkunstschulen. Diesen Bürokratiekosten von 25,7 Millionen Euro monatlich stehen im gleichen Zeitraum circa 28,7 Millionen Euro Leistungen gegenüber, die bundesweit im Schnitt 239.525 Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren in Form der 10 Euro für soziokulturelle Teilhabe bewilligt und tatsächlich von diesen in Anspruch genommen worden sind. Überdies entstehen den Antragstellern Kosten von 2,1 Millionen Euro. Unterm Strich bleiben von den monatlichen 10 Euro Zuschuss mithin 9,27 Euro für die Kinder und Jugendlichen übrig. Der Bürokratieaufwand pro Kopf beträgt demgegenüber 8,94 Euro.
Weitere Informationen finden Sie unter info@rat-kulturelle-bildung.de