Im deutschen Stromsystem wurden im abgelaufenen Jahr mehrere Rekorde gebrochen. So lieferten Erneuerbare Energien mehr Strom als jemals ein anderer Energieträger in Deutschland: Jede dritte Kilowattstunde (32,5 Prozent), die hierzulande verbraucht wurde, stammte aus Wind-, Solar, Wasser und Bioenergiekraftwerken. Im Vorjahr waren es noch 27,3 Prozent. Der Zuwachs der Erneuerbaren Energien im Strommix um mehr als fünf Prozentpunkte ist der stärkste jemals verzeichnete. Dazu trug vor allem die Windenergie bei, deren Stromproduktion im Vorjahresvergleich um 50 Prozent wuchs. 2015 kann damit als das Jahr in die Geschichte eingehen, in dem Erneuerbare Energien als mit Abstand wichtigste Energiequelle erstmals das Stromsystem dominierten, heißt es in einem umfangreichen Jahresrückblick den das Denk- und Politiklabor Agora Energiewende jetzt vorgelegt hat.
Auch die Stromproduktion insgesamt erreichte ein neues Allzeithoch: Mit 647 Terawattstunden wurde 2015 mehr Strom erzeugt als jemals zuvor in der Geschichte Deutschlands. Seit 2014 ist die Stromerzeugung um etwa drei Prozent angestiegen, vor allem weil die Kohlekraftwerke ihre Stromproduktion trotz der gestiegenen Anteile Erneuerbarer Energien kaum gedrosselt haben.
Da sich der Stromverbrauch kaum geändert hat, schlägt sich die gestiegene Stromproduktion in einem gestiegenen Stromexport nieder. So wuchs die Ausfuhr von Strom im Jahr 2015 um rund 50 Prozent und erreichte mit 60,9 Terawattstunden ebenfalls einen neuen Rekordwert. Damit wurde etwa ein Zehntel des in Deutschland produzierten Stroms ins Ausland verkauft. „Das zeigt, dass Deutschland Strom im Überfluss hat – trotz der Stilllegung der Atomkraftwerke. Die Kehrseite ist aber, dass der von den Erneuerbaren Energien im Inland überflüssig gemachte Kohlestrom jetzt ins Ausland drängt. Die Klimabilanz des deutschen Stromsystems hat sich deshalb im vergangenen Jahr kaum verbessert, die Gesamt-Treibhausgasemissionen Deutschlands sind sogar leicht angestiegen“, sagt Dr. Patrick Graichen, Direktor von Agora Energiewende. Er mahnt: „Ohne eine klare Strategie zur Dekarbonisierung des Strom-, Wärme- und Verkehrssektors wird Deutschland seine auf der Klimakonferenz in Paris versprochenen Klimaschutzziele nicht erreichen können.“
Ein Rekord konnte auch am 23. August verzeichnet werden: An diesem Tag deckten Erneuerbare Energien in der Spitze 83,2 Prozent des deutschen Stromverbrauchs. Eine Bewährungsprobe bestand das Stromsystem hingegen während der partiellen Sonnenfinsternis am 20. März: Hierbei kam es mit sehr starken Schwankungen der bundesweiten Solarstromproduktion hervorragend zurecht. „Unsere Auswertung zeigt, dass die Flexibilität des Systems immer besser wird und sich die Teilnehmer am Strommarkt zunehmend auf die schwankende Verfügbarkeit von Strom aus Wind und Sonnenenergie einstellen“, sagt Graichen. „Gleichwohl verdoppelte sich die Zahl der Stunden mit negativen Strompreisen von 64 auf 126. Hierbei hat sich jedoch das Niveau der Preise deutlich verringert, so dass die Auswirkungen der negativen Strompreise nicht mehr so groß sind.“
Auch insgesamt waren die Großhandelspreise rückläufig: An der Strombörse sanken sie um etwa zehn Prozent auf 3,16 Cent pro Kilowattstunde. Das ist der niedrigste Preis in den vergangenen zehn Jahren. Stromlieferungen in den Handelsjahren 2017 bis 2019 konnten an der Börse sogar für weniger als 3 Cent pro Kilowattstunde eingekauft werden.
Leicht rückläufig war im Jahr 2015 die Stromproduktion von Kern- und Gaskraftwerken. Die Kernenergie reduzierte ihren Anteil am deutschen Strommix aufgrund der Abschaltung des Kernkraftwerks Grafenrheinfeld. Gaskraftwerke lieferten weniger Strom, weil sie aufgrund der niedrigen CO2-Preise im EU-Emissionshandel zu höheren Kosten produzierten als Kohlekraftwerke.
Der Stromverbrauch stieg wie auch der Gesamtenergieverbrauch aufgrund des etwas kälteren Winters im Jahr 2015 leicht an. „Stromeinsparung und Gebäudesanierung müssen jetzt politisch eine hohe Priorität bekommen. Sonst werden die Effizienzziele der Bundesregierung für 2020 verfehlt“, sagt Graichen.
Für 2016 erwartet Agora Energiewende weiter steigende Anteile Erneuerbarer Energien. Dazu trägt zunehmend auch die Windstromerzeugung auf See bei. Die Strompreise für private Verbraucher werden in diesem Jahr voraussichtlich leicht steigen und wieder das Niveau von 2014 erreichen: Während die gesunkenen Börsenstrompreise die Preise dämpfen, wirken gestiegene Netzentgelte und andere Umlagen in die entgegensetzte Richtung. Inwieweit es in diesem Jahr Fortschritte bei der Minderung der klimaschädlichen CO2-Emissionen geben wird, entscheidet sich an der Entwicklung der Kohleverstromung und der Energieeffizienz.
Die Studie „Die Energiewende im Stromsektor: Stand der Dinge 2015“ steht unten zum kostenlosen Download zur Verfügung. Die Analyse enthält zahlreiche Abbildungen, an denen die Entwicklung vieler wesentlichen Parameter des Stromsystems leicht nachvollzogen werden kann.
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