Was in einer Gesellschaft als „normal“ gilt, wird stark von Kommunikationsmedien definiert. Das ist auch im Verkehrsbereich so, wo individuelle Automobilität mit einem eigenen Pkw als soziale Norm tief verwurzelt ist. Unterstützt wird dies durch jährliche Werbeausgaben der Automobilindustrie von rund 1,8 Milliarden Euro.
Die Verkehrswende wird nur dann ein Erfolg, wenn sich auch das Verkehrsverhalten der Menschen ändert – wenn sie in Zukunft häufiger mit dem Fahrrad fahren, elektrisches Carsharing nutzen oder mit dem ÖPNV unterwegs sind. Doch mit Verhaltensänderungen – auf Englisch als Behaviour Change bezeichnet – sind sowohl auf individueller wie auf gesellschaftlicher Ebene erhebliche Anstrengungen verbunden.
Dafür gibt es gute Gründe – darunter zwei, die Anlass für die vorliegende Ausarbeitung waren. Zum einen sind Verhaltensroutinen grundsätzlich schwer zu ändern, eben weil es sich um Routinen handelt; zum anderen ist die medial inszenierte Gleichsetzung von „Auto“ mit „Freiheit“ noch in vielen Köpfen präsent.
Für die Verkehrswende bedeutet das: Auch die Alternativen zur Automobilität müssen professionell vermarktet werden. Dafür sind neue Bilder, Vorstellungen und Geschichten notwendig, da Wandel schnell auch als Bedrohung oder Verlust verstanden wird. Noch verfügen wir über keine umfassende Erzählung einer Mobilität, die unabhängig von der Verfügbarkeit eines eigenen Autos und zugleich für breite Bevölkerungsgruppen überzeugend ist.
Dort aber, wo es bereits sichere Radwege oder einen digital vernetzten Verkehrsmittelmix gibt, zeigt sich immer wieder, wie viel Lebensqualität gerade durch die neue Unabhängigkeit vom Auto zu gewinnen ist. Dazu gesellen sich häufig weniger Stress und niedrigere Kosten für Mobilität.
Dies ist eine günstige Ausgangslage, um attraktive Bilder über die individuellen Vorteile der Mobilität der Zukunft zu vermitteln. Doch der Stellenwert von professioneller Kommunikation wird in der Verkehrsplanung und -politik, aber auch bei öffentlichen Einrichtungen wie Verkehrsbetrieben, oft noch unterschätzt. Mit diesem Impulspapier möchten wir daher Werbung für Werbung machen – um dieses „weiche“ Thema als wichtigen Bestandteil in der Verkehrswende-Debatte zu etablieren.
Unpünktliche Züge, zugeparkte Gehwege, fehlende Sharing-Angebote am Stadtrand: Längst nicht überall sind die Voraussetzungen für Verhaltensänderungen bereits gegeben. Alleiniges „Schönfärben“ von Missständen im Verkehr beseitigt keine Hemmnisse für Verhaltensänderungen und wird deshalb nicht ertragreich sein. Strategisch eingesetzt, kann offensive Werbung aber dazu führen, dass über Missstände überhaupt erst gesprochen wird – und Politik und Verwaltung zusätzliche Legitimation für Verbesserungen erhalten. Werbung muss also nicht immer warten, bis ein Produkt marktreif ist. Sie kann auch dafür sorgen, dass ein Produkt marktreif wird, indem sie ein Klima mitgestaltet, das Veränderung positiv aufgreift.

Details zur Publikation

AutorDr. Konrad Götz, Dipl.-Soz. Georg Sunderer
Heraus­geberAgora Verkehrswende
Seiten38
VeröffentlichungMärz 2019
SpracheDeutsch

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