Nachhaltigkeit ist in vielen Unternehmen fest verankert – doch die Dynamik stockt, weil die Politik nicht für stabile Rahmenbedingungen sorgt. Das ist das Ergebnis des Sustainability Transformation Monitors 2025, einer Befragung von knapp 600 Nachhaltigkeitsverantwortlichen der deutschen Wirtschaft.
Mehr Sorgen als in den Vorjahren macht deutschen Unternehmen die Unsicherheit in Bezug auf politische Vorgaben und Regulatorik. In der Realwirtschaft geben 71,4 Prozent der Befragten an, dass dieses Thema das Engagement für mehr Nachhaltigkeit ausbremst. In der Finanzbranche sind es sogar 79,4 Prozent. „Diese Unsicherheit ist ein Alarmsignal“, sagt Jakob Kunzlmann, Nachhaltigkeitsexperte der Bertelsmann Stiftung. „Ohne Planungssicherheit bleibt die Transformation der Wirtschaft auf halbem Weg stecken.“
Dabei ist das Thema Regulatorik für die Unternehmen durchaus ambivalent. Denn obwohl zahlreiche Unternehmen die damit aktuell verbundene Unsicherheit als Hemmnis wahrnehmen, sehen viele der Verantwortlichen die Politik zugleich auch als Treiberin der Transformation. In der Realwirtschaft sagen das 62,1 Prozent, im Finanzwesen sogar 70,6 Prozent. Weitere wichtige Treiber sind aus Sicht der Unternehmen – genau wie in den Vorjahren – jedoch die Jugend und die zukünftigen Mitarbeiter*innen. Fast drei Viertel der Befragten nennen jeweils diese beiden Gruppen als wichtigsten Ansporn.
„Es ist ein wichtiges Signal, dass die Verantwortlichen nicht allein durch Regulatorik, sondern auch weiterhin durch andere Faktoren wie die nachfolgenden Generationen und die Erwartungen zukünftiger Mitarbeiter*innen angetrieben werden“, sagt Incken Wentorp, Nachhaltigkeitsexpertin der Peer School for Sustainable Development.
Geplante Nachhaltigkeitsprojekte sind auf Eis gelegt
In vielen Bereichen der Realwirtschaft stagniert die Transformation der Wirtschaft. Obwohl Nachhaltigkeit mittlerweile in den meisten Unternehmen fest in der Strategie verankert ist, bleibt die Umsetzung neuer Maßnahmen hinter den Erwartungen zurück. So haben nur 13 Prozent der Unternehmen, die im Vorjahr noch angaben, zukünftig die Aufstellung von konkreten Klimazielen für das eigene Unternehmen zu planen, diese Pläne auch tatsächlich umgesetzt. 77 Prozent haben ihre geplanten Maßnahmen nicht umgesetzt, 10 Prozent der Unternehmen haben ihre Nachhaltigkeitsziele ganz aufgegeben. Und auch finanzielle Anreize fehlen in einer Großzahl an Unternehmen weiterhin.
So geben 82 Prozent der Unternehmen aus der Realwirtschaft und 75 Prozent der Finanzwirtschaft an, das Erreichen von Nachhaltigkeitszielen nicht an die Vergütung von Führungskräften oder anderen relevanten Entscheidungsträgern zu koppeln. „Durch Einbindung von nachhaltigkeits-bezogenen KPIs in die Vergütungssysteme gewinnt das Thema Nachhaltigkeit an Steuerungsrelevanz in Unternehmen. Gründe für die zurückhaltende Einbindung sind unter anderem die Komplexität bei der Auswahl geeigneter Kriterien sowie potenzielle Zielkonflikte mit finanziellen Kennzahlen“, sagt Manuel Reppmann, Experte der Universität Hamburg.
Nachhaltigkeit verliert zudem an Bedeutung bei Finanzierungsentscheidungen: Für knapp die Hälfte der Unternehmen ist das Thema bei Finanzierungsgesprächen „unwichtig“ oder „eher unwichtig“. Der Anteil der Unternehmen, welche das Thema im Vorjahr noch als wichtig oder sehr wichtig eingeschätzt haben, ist in der gleichen Befragungsgruppe dieses Jahr um 15,3 Prozentpunkte zurückgegangen. Ein Lichtblick ist dagegen, dass immer mehr Unternehmen eine eigene Nachhaltigkeitsabteilung besitzen. Ihr Anteil ist in der Realwirtschaft um 15,1 Prozentpunkte auf 51 Prozent gestiegen.
Mehr Unternehmen kennen ihren eigenen CO2-Fußabdruck
Ein wichtiger Fortschritt zeigt sich auch in der Erhebung von Emissionsdaten. Mittlerweile kennen knapp 91 Prozent der befragten Unternehmen ihren CO2-Fußabdruck zumindest in Grundzügen. Fast 60 Prozent erfassen ihre Emissionen sogar bis hin zu Scope-3, also entlang ihrer gesamten Wertschöpfungskette. Dies bedeutet einen signifikanten Anstieg im Vergleich zum Vorjahr und lässt darauf schließen, dass Unternehmen zunehmend auf regulatorische Anforderungen wie die anstehende Berichtspflicht, CSRD, und die EU-Taxonomie reagieren.
„Die bessere Erfassung von Emissionsdaten ist ein entscheidender Fortschritt. Unternehmen können nun gezielter Emissionen senken, Risiken steuern und nachhaltige Investitionen erleichtern. Wer seine Daten kennt, kann Nachhaltigkeit nicht nur berichten – sondern strategisch steuern“, sagt Laura Marie Edinger-Schons, Professorin für Nachhaltiges Wirtschaften an der Universität Hamburg.
Aus der Sicht vieler, insbesondere kleinerer, Unternehmen der Realwirtschaft überwiegt bei der CSRD zum Zeitpunkt der Befragung dennoch der Aufwand den Nutzen. „Hier ist die Politik gefordert, insbesondere für den Mittelstand einen Kompromiss zwischen Bürokratieaufwand und aussagekräftigen Berichtspflichten zu finden“, erklärt Philipp Wesemann, verantwortlicher Projektmanager bei der Essener Stiftung Mercator. In der Finanzwirtschaft wird sie dagegen weiterhin positiv wahrgenommen, die Banken brauchen die Daten der Unternehmen für die Steuerung ihrer Portfolios. Daher sagen 56,9 Prozent, dass für sie die CSRD-Berichterstattung sehr nützlich ist.
Auch wenn die genaue Ausgestaltung der CSRD und anderer Nachhaltigkeitsregulierungen weiterhin unklar bleibt, sind die Nachhaltigkeitsexpert*innen bei der Verankerung ihres Themas gut vorangekommen. Mehr als die Hälfte der Unternehmen in der Realwirtschaft (51,5 Prozent) sagt inzwischen, dass sie bei der Umsetzung der CSRD-Vorgaben gut aufgestellt ist. Das ist gegenüber dem Vorjahr ein Plus von 25,8 Prozent. „Mehr eigenständige Nachhaltigkeitsabteilungen, die Anbindung an den Vorstand, mehr Routine im Umgang mit den Vorgaben: All das zeigt, dass das Thema Nachhaltigkeit in den Unternehmen tief verankert ist“, sagt Fritz Putzhammer, Nachhaltigkeitsexperte der Bertelsmann Stiftung. „Auch wenn der Fortschritt derzeit langsamer voranschreitet, steht fest: Nachhaltigkeit wird immer mehr ein zentraler Bestandteil unserer Wirtschaft.“
Sustainability Transformation Monitor
An der Online-Befragung für den Sustainability Transformation Monitor 2025 (STM) haben sich 592 Unternehmen beteiligt. Ziel des STM ist es, die Nachhaltigkeitstransformation der Wirtschaft evidenzbasiert zu begleiten. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf dem effektiven Zusammenwirken von Real- und Finanzwirtschaft in der Transformation. Er wird jährlich neu aufgelegt. Der STM ist zum dritten Mal in Kooperation der Bertelsmann Stiftung, der Stiftung Mercator, der Universität Hamburg und der Peer School for Sustainable Development entstanden. Der STM wird von einem breiten Partnernetzwerk unterstützt: dem Rat für Nachhaltige Entwicklung, dem UN Global Compact Netzwerk Deutschland, dem Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft, B.A.U.M., der Wissenschaftsplattform Sustainable Finance und CRIC.
ANSPRECHPARTNER*INNEN
Philipp Wesemann | Stiftung Mercator
T +49 201 2 45 22-702 | philipp.wesemann@stiftung-mercator.de
Jakob Kunzlmann | Bertelsmann Stiftung
T +49 52 41 81 81-337 | jakob.kunzlmann@bertelsmann-stiftung.de
Prof. Dr. Laura Marie Edinger-Schons | Universität Hamburg
T +49 40 4 28 38-22 73 | laura.marie.edinger-schons@uni-hamburg.de
Incken Wentorp | Peer School for Sustainable Development
T +49 421 41007 821 | wentorp@peerschool.de
ÜBER DIE STIFTUNG MERCATOR
Die Stiftung Mercator ist eine private, unabhängige und gemeinnützige Stiftung, die auf der Grundlage wissenschaftlicher Expertise und praktischer Projekterfahrung handelt. Seit 1996 tritt sie für eine solidarische und partizipative Gesellschaft ein. Dazu fördert und entwickelt sie Projekte, die Chancen auf Teilhabe und den Zusammenhalt in einem diverser werdenden Gemeinwesen verbessern. Die Stiftung Mercator setzt sich für ein weltoffenes, demokratisches Europa ein, eine an den Grundrechten orientierte digitale Transformation von Staat und Gesellschaft sowie einen sozial gerechten Klimaschutz. Die Stiftung Mercator engagiert sich in Deutschland, Europa und weltweit. Dem Ruhrgebiet, Heimat der Stifterfamilie und Stiftungssitz, fühlt sie sich besonders verbunden.
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ÜBER DIE BERTELSMANN STIFTUNG
Die Bertelsmann Stiftung setzt sich dafür ein, dass alle an der Gesellschaft teilhaben können – politisch, wirtschaftlich und kulturell. Unsere Programme: Bildung und Next Generation, Demokratie und Zusammenhalt, Digitalisierung und Gemeinwohl, Europas Zukunft, Gesundheit, Nachhaltige Soziale Marktwirtschaft. Dabei stellen wir die Menschen in den Mittelpunkt. Denn die Menschen sind es, die die Welt bewegen, verändern und besser machen können. Dafür erschließen wir Wissen, vermitteln Kompetenzen und erarbeiten Lösungen. Die gemeinnützige Bertelsmann Stiftung wurde 1977 von Reinhard Mohn gegründet.
ÜBER DIE PEER SCHOOL FOR SUSTAINABLE DEVELOPMENT e.V.
Wir verstehen die Peer School for Sustainable Development als disruptiven Lernraum. Wir bieten Fachverantwortli-chen für Nachhaltigkeit aus Unternehmen, Stiftungen und Wissenschaft, sowie dem Nachwuchs im Nachhaltig-keitsbereich die Möglichkeit, gemeinsam zu lernen und spezifisches Fachwissen sowie Erfahrungen untereinander zu teilen. Unsere über 2.100 Mitglieder bzw. Scholars verstehen sich als Lehrende und Lernende und bringen eige-ne Impulse ein. Unsere Vision wollen wir durch regelmäßigen, persönlichen Austausch, die gegenseitige Vermittlung von Wissen und die gemeinsame Weiterentwicklung des Fachthemas erreichen.
ÜBER DIE UNIVERSITÄT HAMBURG
Die 1919 gegründete Universität Hamburg ist eine der forschungsstärksten Universitäten Deutschlands. Mit ihrem Erfolg bei der „Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder“ zur Förderung der universitären Spitzenforschung in Deutschland ist sie seit 2019 Exzellenzuniversität. Mehr als 43.000 Studierende sind in den rund 180 Studiengängen eingeschrieben. Nachhaltigkeit spielt dabei in allen universitären Bereichen von Forschung und Transfer über die Lehre bis zur Administration eine maßgebliche Rolle. Koordiniert werden die Maßnahmen und Tätigkeiten im Bereich der Nachhaltigkeit seit Dezember 2022 durch das Sustainability Office unter Leitung der Chief Sustainability Officer, Prof. Dr. Laura-Marie Edinger-Schons.