Pressemitteilung
Berlin, 06.06.2018

Muslime in Deutschland sehen sich seit einigen Jahren verstärkt mit Anfeindungen, physischer und verbaler Gewalt konfrontiert und Teile der Bevölkerung sprechen ihnen die Zugehörigkeit zur deutschen Gesellschaft ab. Dass islamfeindliche Tendenzen auch unter Jugendlichen verbreitet sind, zeigt die heute veröffentlichte Studie, die erstmals analysiert, wie junge Menschen in Deutschland über den Islam und Muslime denken.
20 Schüler*innen von Gymnasien, Berufsschulen und Berufskollegs in Groß- und Kleinstädten in NRW zwischen 16 und 26 Jahren wurden in qualitativen Tiefeninterviews nach ihrer Meinung zum Islam, zu Integration und Migration befragt. In den über 800 Aussagen der Jugendlichen zum Islam waren vier Narrative besonders dominierend: Islamismus, Unterdrückung (Gender), Bedrohung der eigenen Identität und das Phänomen der Parallelgesellschaft.
Die Studie wurde bewusst in NRW durchgeführt, wo Muslime und das Zusammenleben in Vielfalt für die meisten jungen Menschen ein normaler Bestandteil gesellschaftlichen Lebens sind. Die Studie suchte Antworten auf die Frage, wie junge Menschen trotz ihres Wissens um die Normalität der Einwanderungsgesellschaft und ihrer vielfältigen persönlichen Erfahrungen islamfeindliche Positionierungen entfalten können. Bei den Aussagen wurde eine Schere zwischen Sach- und persönlicher Ebene sehr deutlich. Der vielfältige, persönliche Kontakt zu Muslimen führt durchaus zu einer Differenzierungs- und Reflexionsfähigkeit unter Jugendlichen. Aber auf der Sachebene äußern sich viele junge Menschen abwertend über den Islam, besonders wenn sie selbst kaum Berührungspunkte zu Muslimen aufweisen.
Hier wird deutlich, dass selbst in einem von Diversität geprägten Bundesland wie NRW, sich negative Einstellungen zum Islam vor allem auf den öffentlichen Diskurs beziehen. So finden sich in den Beschreibungen der jungen Menschen vereinheitlichende Deutungen, Abwertungen und Ausgrenzungen von Muslimen, wie sie häufig auch im öffentlichen, medialen und politischen Diskurs bestehen. Wenn die Abwertung von Muslimen in der Lebenswelt von Jugendlichen präsent ist oder, wenn es biographisch für sie selbst Sinn macht, andere abzuwerten, dann bedienen und zitieren Jugendliche Aussagen aus dem islamfeindlichen Diskurs.
„Für die Bildungsarbeit ergibt sich aus diesen ersten Befunden, dass jungen Menschen Chancen und Möglichkeiten zur Solidarisierung mit Muslimen und zur Reflexion von Rassismus eröffnet werden müssen“, sagt Lamya Kaddor, die die Studie gemeinsam mit Prof. Nicolle Pfaff an der Universität Duisburg-Essen verfasst hat. Auf Basis dieser Ergebnisse werden nun in Kooperation mit der Universität Bielefeld Fragebögen entwickelt und ca. 500 Schüler befragt, um das Phänomen Islamfeindlichkeit unter Jugendlichen auch quantitativ zu beleuchten sowie erste pädagogische Ansätze zu erarbeiten. Prof. Dr. Andreas Zick wird gemeinsam mit Olga Janzen diese quantitative Studie begleiten und sagt: „Wir prüfen nun in einer großen Stichprobe unter Schülerinnen und Schülern, wie tief Vorurteile gegenüber Muslimen und dem Islam verankert sind, aber auch, wie gut die Befragten ihnen widerstehen können. Damit rücken wir der Frage näher, wie gut die junge Generation, die multikulturell aufwächst, geschützt von Vorurteilen ist. Oder sind es doch Kinder einer zunehmend muslimfeindlichen Gesellschaft?“
„Die Stiftung Mercator setzt sich gegen jede Form von Diskriminierung und Menschenfeindlichkeit ein. Uns ist es wichtig, Art und Ausmaß von Islamfeindlichkeit bei jungen Menschen besser zu verstehen, für das Thema zu sensibilisieren und Handlungsempfehlungen für die Bildungspraxis zu liefern. Die Studie soll somit dazu beitragen, durch wissenschaftlich fundierte Fakten den Diskurs zu Islam und Muslimen in Deutschland zu versachlichen und Ansatzpunkte für die Bildungsarbeit mit jungen Menschen aufzeigen“, sagt Anna Dieterle, Projektmanagerin der Stiftung Mercator.
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Über die Stiftung Mercator:
Die Stiftung Mercator ist eine private, unabhängige Stiftung. Sie strebt mit ihrer Arbeit eine Gesellschaft an, die sich durch Weltoffenheit, Solidarität und Chancengleichheit auszeichnet. Dabei konzentriert sie sich darauf, Europa zu stärken, den Bildungserfolg benachteiligter Kinder und Jugendlicher insbesondere mit Migrationshintergrund zu erhöhen, Qualität und Wirkung kultureller Bildung zu verbessern, Klimaschutz voranzutreiben und Wissenschaft zu fördern. Die Stiftung Mercator steht für die Verbindung von wissenschaftlicher Expertise und praktischer Projekterfahrung. Als eine führende Stiftung in Deutschland ist sie national wie international tätig. Dem Ruhrgebiet, der Heimat der Stifterfamilie und dem Sitz der Stiftung, fühlt sie sich besonders verpflichtet.

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