Pressemitteilung
Berlin, 19.05.2016

In seiner Stellungnahme zum geplanten Integrationsgesetz fordert der SVR eine Ausweitung der geplanten Öffnung von Integrationskursen und Arbeitsmarktintegrationsmaßnahmen auf solche Flüchtlinge, die individuell eine gute Bleibeperspektive haben. Die grundsätzliche Linie, die Maxime des Förderns und Forderns auf Flüchtlinge zu übertragen, befürwortet der SVR im Sinne der Gleichbehandlung und Integrationsförderung, sofern die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt.
Der Referentenentwurf der großen Koalition für ein Integrationsgesetz sieht für Asylbewerber mit guter Bleibeperspektive eine weitgehende Öffnung der seit dem Zuwanderungsgesetz von 2005 etablierten Strukturen staatlicher Integrationsförderung vor. „Der Einbezug von Flüchtlingen im Verfahren in die bestehenden Regelsysteme des Förderns und Forderns ist ein wichtiger Schritt hin zu Gleichbehandlung und früher Integration. Die hierfür aufgewandten erheblichen finanziellen Mittel sind eine gute und notwendige Investition, die den Flüchtlingen und der gesamten Gesellschaft zugutekommt. Dass allerdings eine nicht unbeträchtliche Gruppe von Flüchtlingen hiervon ausgenommen wird, ist integrationspolitisch kontraproduktiv. Hier sollte nachgebessert werden“, sagte Prof. Dr. Christine Langenfeld, Vorsitzende des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR).
Der Sachverständigenrat begrüßt die dem vorliegenden Gesetzesentwurf in großen Teilen zugrundeliegende Maxime, Flüchtlingen im Verfahren nach dem Grundsatz „Fördern und Fordern“ Zugang zu Integrationskursen und anderen Maßnahmen der Integrationsförderung zu gewähren und dies mit einer Erwartung an Teilnahme zu verbinden. Damit werden Asylbewerber mit anerkannten Flüchtlingen, anderen Drittstaatsangehörigen, die nicht aus humanitären Gründen nach Deutschland gekommen sind, aber auch mit Personen ohne Migrationshintergrund, die Hartz IV-Leistungen beziehen, gleichgestellt. „Der Grundsatz des Förderns und Forderns für alle als zentrales integrationspolitisches Leitmotiv vieler Einwanderungsländer hat sich bewährt“, so die SVR-Vorsitzende. Wichtig sei allerdings, dass Fordern das Fördern voraussetze und die entsprechenden Angebote nun massiv und passgenau ausgebaut werden müssten. Andernfalls laufe eine Verpflichtung zur Teilnahme ins Leere. Zudem müsse die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben und Belange des Einzelfalls seien zu berücksichtigen, bevor man Asylbewerber mit Sanktionen belege.
Mit der Förderung früher Integration habe die Politik grundsätzlich aus Fehlern der Vergangenheit gelernt. Nicht nachvollziehbar sei daher die für eine bestimmte Gruppe vollzogene ‚Rolle rückwärts‘ hinsichtlich der sonst klar dominierenden Maxime einer Integration von Anfang an: „Der Entwurf unterscheidet nicht nur nachvollziehbarerweise zwischen Personen aus sicheren Herkunftsländern, die von den Integrationsangeboten ausgeschlossen bleiben, und anderen Antragstellern, denen die neuen Möglichkeiten prinzipiell offen stehen. Vielmehr schafft er mit der Gruppe von Personen aus nicht-sicheren Herkunftsländern mit einer unklaren Bleibeperspektive (wie beispielsweise Flüchtlingen aus Afghanistan) eine neue Hierarchisierung. Antragsteller aus dieser mittleren Gruppe werden hinsichtlich des Zugangs zu Integrationsangeboten deutlich schlechter gestellt, obwohl viele von ihnen individuell durchaus gute Chancen auf Anerkennung haben.“ Besonders problematisch sei dies, da ihre teilweise sehr komplexen Verfahren derzeit besonders lange dauern, auch weil sie nachrangig bearbeitet werden. „Hier verstreicht wertvolle Zeit ungenutzt. Das ist integrationspolitisch kontraproduktiv“, so Langenfeld. Eine Öffnung der Angebote auf Basis einer Beurteilung individueller Bleibeperspektiven sei dem pauschalen Ausschluss klar vorzuziehen. „Die besten Voraussetzungen für Integration schaffen allerdings rasche Verfahren. Das Ziel, die Verfahrensdauer für alle Asylbewerber deutlich zu reduzieren, muss daher weiterhin oberste Priorität haben – dann kann Arbeitsmarktintegration und Sprachförderung erst ihre volle Wirkung entfalten.“
Die vorgesehenen Erleichterungen für den Arbeitsmarktzugang sind aus Sicht des SVR sehr zu begrüßen. Hierzu gehört, dass die Vorrangprüfung für Asylbewerber und Geduldete in Regionen mit geringer Arbeitslosigkeit für drei Jahre ausgesetzt werden soll. Hierfür hat sich der SVR bereits seit längerem ausgesprochen. Sehr positiv ist, dass Flüchtlinge mit guter Bleibeperspektive bereits nach drei Monaten Zugang zu den Maßnahmen der Ausbildungsförderung (etwa berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen, assistierter Ausbildung) erhalten sollen und auch der Zugang zu finanziellen Ausbildungshilfen bei Bedarf eröffnet wird. Auch die geplante „Drei-plus-zwei-Regelung“, wonach Flüchtlinge nach dem Abschluss einer Ausbildung – unabhängig vom Ausgang des Asylverfahrens – für zwei Jahre im Betrieb weiter beschäftigt werden können, ist integrationspolitisch sinnvoll. „Damit gewinnen Flüchtlinge und Arbeitgeber Rechtssicherheit“, so Professor Langenfeld. Mit Skepsis betrachtet der SVR dagegen die Beschäftigung von Flüchtlingen in Maßnahmen des Arbeitsmarktintegrationsprogramms Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen (FIM). Solche Maßnahmen in Asyleinrichtungen seien als temporäre niedrigschwellige Beschäftigung denkbar, Erfahrungen mit etwa im Rahmen der Hartz-Reformen etablierten und ähnlich konstruierten Beschäftigungsformen hätten allerdings eine doppelte Problematik aufgezeigt: Nicht nur kann es zur Verdrängung privater Unternehmen durch die neue Konkurrenz von staatlich subventionierten Beschäftigten kommen, oftmals hätten sich auch die Möglichkeiten für die vermeintlich Geförderten, wieder im ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, durch einen mit einer solchen Beschäftigungsform verbundenen Stigma-Effekt keineswegs verbessert, sondern sogar verschlechtert. Es sei daher in jedem Fall zu gewährleisten, dass durch solche Beschäftigungen der Spracherwerb und eine mögliche Qualifizierung nicht gefährdet werden.
Kritisch äußerte sich die SVR-Vorsitzende auch zur geplanten Verkürzung der Anspruchszeiten auf Integrationskurse von 2 auf 1 Jahr – diese sei angesichts des noch nicht in ausreichendem Maß zur Verfügung stehenden Angebots nicht überzeugend. Die Aufstockung der Orientierungskurse von 60 auf 100 Stunden und eine stärkere Vermittlung der in Deutschland geltenden Rechtsgrundlagen und Werte hingegen sei zu befürworten. „Viele Flüchtlinge kommen genau wegen dieser Werte und Rechte zu uns“, so die SVR-Vorsitzende. „Kenntnis von Werten und Werteübernahme sind allerdings zweierlei: Eine über das Befolgen von Spielregeln hinausgehende wünschenswerte Zustimmung zu den Grundlagen des Gemeinwesens und ein Gefühl der Zugehörigkeit resultieren vor allem aus der Erfahrung, etwas bewirken zu können, mitzugestalten, eine Perspektive für sich und seine Familie zu haben, gerecht behandelt zu werden. Hier müssen Orientierungskurse und Maßnahmen der Integrationsförderung ineinander greifen und hier spielt auch die Zivilgesellschaft mit ihren Beteiligungsmöglichkeiten eine wichtige Rolle.“
Die Regierungskoalition plant weiterhin, Flüchtlinge, die nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt wurden, im Hinblick auf die Verfestigung ihres Aufenthalts mit subsidiär Geschützten, aber auch anderen Ausländerinnen und Ausländern insofern gleichzustellen, als künftig die Niederlassungserlaubnis für diese Gruppen (bei nicht erfolgendem Widerruf durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) nach 5 Jahren (unter Anrechnung der Zeit des Asylverfahrens) nur noch bei Erbringung bestimmter Integrationsleistungen erteilt wird. Für Genfer Flüchtlinge besteht an dieser Stelle aber im Gegensatz zu subsidiär Geschützten bei Erfüllung der Erteilungsvoraussetzungen ein Anspruch auf die Niederlassungserlaubnis. Der bislang geltende Automatismus der Gewährung einer Niederlassungserlaubnis ohne weitere Bedingungen nach drei Jahren soll aber der Vergangenheit angehören. Diese Maßnahme ist aus Sicht des SVR im Sinne der Gleichbehandlung zu rechtfertigen. Allerdings sollte eine Öffnungsklausel vorgesehen werden, die auch Bemühungen um die Lebensunterhaltssicherung und eine daran anknüpfende positive Erwartung an den Erfolg dieser Bemühungen  als hinreichende Voraussetzung im Einzelfall anerkennt. „Auch dies wäre eine konsequente Gleichbehandlung, da entsprechende Regelungen analog bei der Regularisierung von langjährig Geduldeten zur Anwendung kommen. Zudem würden so die Hürden nicht unbillig hoch“, sagte die SVR-Vorsitzende Professor Langenfeld.
Als „flexibel und verhältnismäßig“ bezeichnete Langenfeld die Pläne der Regierung zur Wohnsitzauflage, die im Sinne der Subsidiarität einen klaren Entscheidungsspielraum für die Länder vorsieht. „Das kann in Einzelfällen durchaus heißen, dass die Länder ganz darauf verzichten, den Bewegungsspielraum anerkannter Flüchtlinge innerhalb des Bundeslandes einzuschränken. In anderen Ländern mag keine allgemeine Wohnsitzzuweisung sinnvoll sein, sondern lediglich eine Beschränkung des Zuzugs in Ballungsräume. Hier sind die Länder gefordert, die Kann-Regelung im integrationspolitischen Sinne mit Augenmaß auszugestalten.“ Richtig sei die Befristung dieses die Freizügigkeit anerkannter Flüchtlinge einschränkenden Instruments. Eine Evaluation auf Länderebene müsse dann zeigen, ob die integrationspolitischen Effekte sich auch eingestellt haben.
Der SVR wies zudem darauf hin, dass ergänzend zu diesen durch ein Bundesgesetz geregelten Aspekten des Arbeitsmarktzugangs und der Integrationsförderung nun vor allem die Wohnungsbauförderung und Stadtentwicklung nicht vernachlässigt werden dürfen. Hier handle es sich um eine gesamtstaatliche Aufgabe, die auch mit Blick auf die Vermeidung von Konkurrenzen auf dem zum Teil jetzt schon angespannten Wohnungsmarkt von zentraler Bedeutung sei. Nicht minder wichtig sei angesichts der Altersstruktur der Flüchtlinge die Aufgabe einer erfolgreichen Integration in Kita, Schule und berufliche Bildung. Hier seien Bund und Länder gemeinsam in der Pflicht. „Kinder müssen rasch und überall in Deutschland Zugang zu Kita und Schule finden – spätestens 3 Monate nach ihrer Ankunft sollte das gewährleistet sein. In den Schulen kommt es dann darauf an, Sprach- und Integrationsförderung miteinander zu verbinden, indem beispielsweise Kinder nicht allein einer Willkommensklasse zugeordnet werden, sondern parallel direkt auch an solchen Teilen des Unterrichts ihrer künftigen Regelklasse teilnehmen, der weniger von der Sprachbeherrschung abhängt (wie beispielsweise der Sportunterricht)“, betonte Professor Langenfeld.
In der Schule zeige sich beispielhaft, worauf es bei der Integration ankomme: Zugänge müssten staatlich eröffnet, entsprechende Infrastrukturen und Personalstellen vorgehalten werden. Integration gelinge dann aber vor allem im menschlichen alltäglichen Miteinander. „Sie ist gesamtgesellschaftliche Aufgabe aller, sie setzt das Zusammenwirken von Bund und Ländern ebenso voraus wie eine tatkräftige Zivilgesellschaft. Das Integrationsgesetz des Bundes ist ein Schritt in diesem Prozess. Für das Gelingen ist allerdings die Gesellschaft insgesamt verantwortlich, also die hier länger Lebenden wie die zu uns Kommenden, die angehalten sind, ein Klima von Gesprächs- und Aufnahmebereitschaft und wechselseitiger Akzeptanz zu schaffen. Dafür ist es durchaus sinnvoll, wenn alle an den gleichen Maßstäben gemessen werden.“
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