Pressemitteilung
Berlin, 06.12.2016

Kinderehen sind mit unserer Vorstellung einer selbstbestimmten und mündigen Entscheidung nicht vereinbar. Daher spricht sich der Sachverständigenrat für ein Verbot von Kinderehen mit unter 16-Jährigen aus. Im Ausland geschlossene Ehen von 16- bis 18-Jährigen sollten grundsätzlich nicht zulässig, Ausnahmen aber nach Einzelfallprüfung möglich sein, wenn diese dem Willen und dem Wohl der Minderjährigen entsprechen. Das Mindestheiratsalter in Deutschland sollte ausnahmslos 18 Jahre betragen.
„Es entspricht nicht unserer Vorstellung von einer selbstbestimmten und mündigen Entscheidung, wenn Kinder heiraten oder verheiratet werden“, sagte Prof. Dr. Thomas Bauer, Vorsitzender des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR). Der SVR spricht sich daher für ein generelles Verbot von in Deutschland geschlossenen Ehen für unter 18-Jährige aus. Im Ausland geschlossene Ehen mit unter 18-Jährigen sind aufzuheben, Ausnahmen für 16- bis 18-Jährige sollten nur nach Einzelfallprüfung möglich sein.
Es wäre konsequent und im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention, wenn der Gesetzgeber das Mindestheiratsalter für in Deutschland zu schließende Ehen ohne Ausnahmen auf 18 Jahre anhöbe. Der Grund für in Deutschland geschlossene Ehen unter 18 Jahren ist zumeist eine bestehende Schwangerschaft. Allerdings gilt heute eine Elternschaft ohne Trauschein kaum noch als moralisch verwerflich. Gegenüber dem Schutzbedürfnis von Personen, die von ihren Eltern oder anderen Familienangehörigen in eine Ehe gezwungen werden könnten, fällt dieses Bedenken weniger ins Gewicht. „Einer Anhebung der Altersgrenze ist daher nicht nur aus Gründen einer Präventions- und Signalwirkung zuzustimmen mit dem Ziel, Jugendliche vor erzwungenen Ehen zu schützen, sondern sie entspricht auch der Lebenswirklichkeit in Deutschland“, so Prof. Dr. Petra Bendel, Mitglied des SVR.
Probleme bestehen jedoch bei Ehen Minderjähriger, die im Ausland geschlossen worden sind. Hier kann in Deutschland nach Art. 14 EGBGB bisher das ausländische Recht zur Anwendung kommen, soweit deutsche Gerichte oder Behörden nachträglich über die Anerkennung einer im Ausland geschlossenen Ehe urteilen. Es handelt sich bisher um eine Privilegierung in dem Sinne, dass im Vergleich zu den im Rahmen des § 1303 BGB definierten Standards auch großzügigere Regelungen akzeptiert werden. „Dass hier eine Angleichung stattfindet, ist überzeugend und richtig“, meint Prof. Dr. Daniel Thym, ebenfalls Mitglied des SVR. „Ein grundsätzliches Verbot von Ehen für 16- bis 18-Jährige darf jedoch nicht zu Lasten der Betroffenen gehen“, sagte Bauer. Daher müssen hier ggf. Einzelfallentscheidungen getroffen werden, die das Kindeswohl nach Art. 3 der UN-Kinderrechts-konvention vorrangig berücksichtigen und den Bedürfnissen bereits vorhandener Kinder, eventuell bestehenden Schwangerschaften sowie Unterhalts- und Erbansprüchen gerecht werden. In der Praxis wird von Bedeutung sein, das Jugendamt und die Kinder- und Jugendhilfe für den Umgang mit diesen Einzelfällen zu qualifizieren.
Infolge der Fluchtzuwanderung haben Fälle verheirateter Minderjähriger in Deutschland zugenommen. 2016 waren es knapp 1.475 verheiratete Minderjährige, darunter 481 unter 16 Jahren. Die Mehrzahl der verheirateten Minderjährigen sind Mädchen, die vor allem aus Syrien, Irak und Afghanistan stammen. Derzeit ist eine Eheschließung auch in Deutschland bei 16- bis 18-Jährigen im Ausnahmefall zulässig, wenn einer der Partner volljährig ist, die Eltern des minderjährigen Jugendlichen und das Familiengericht einer Eheschließung zustimmen.
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Über den Sachverständigenrat
Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration geht auf eine Initiative der Stiftung Mercator und der VolkswagenStiftung zurück. Ihr gehören sieben Stiftungen an. Neben der Stiftung Mercator und der VolkswagenStiftung sind dies: Bertelsmann Stiftung, Freudenberg Stiftung, Robert Bosch Stiftung, Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und Vodafone Stiftung Deutschland. Der Sachverständigenrat ist ein unabhängiges und gemeinnütziges Beobachtungs-, Bewertungs- und Beratungsgremium, das zu integrations- und migrationspolitischen Themen Stellung bezieht und handlungsorientierte Politikberatung anbietet. Die Ergebnisse seiner Arbeit werden in einem Jahresgutachten veröffentlicht.
Dem SVR gehören neun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen und Forschungsrichtungen an: Prof. Dr. Thomas K. Bauer (Vorsitzender), Prof. Dr. Hacı Halil Uslucan (Stellvertretender Vorsitzender), Prof. Dr. Gianni D’Amato, Prof. Dr. Petra Bendel, Prof. Dr. Wilfried Bos, Prof. Dr. Claudia Diehl, Prof. Dr. Heinz Faßmann, Prof. Dr. Christian Joppke und Prof. Dr. Daniel Thym.
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