Wenn Ottmar Edenhofer aus dem Fenster seines Büros schaut, blickt er auf den mehr als 100 Jahre alten ehemaligen Gasometer in Schöneberg – ein denkmalgeschützes Wahrzeichen des Berliner Stadtteils, das einst für die Industrialisierung Deutschlands stand. „Diesen Aufbruchsgedanken von damals brauchen wir auch jetzt auf dem Weg in eine Zukunft, die von dem Gedanken der Nachhaltigkeit geprägt ist“, sagt Edenhofer, der wie kaum ein zweiter Experte in Deutschland für das Thema „Folgen des Klimawandels“ steht, mit seinem bayerischen Akzent. Edenhofer ist unter anderem Professor für die Ökonomie des Klimawandels an der Technischen Universität Berlin. Er gehört dem Weltklimarat an, dem 2007 der Friedensnobelpreis verliehen wurde, er ist Chefökonom und stellvertretender Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung – und er ist Direktor des MCC, das hier auf dem ehemaligen Gaswerksgelände neben dem Gasometer sitzt. MCC, das Kürzel steht für „Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change“ und dahinter steckt ein gemeinsames Engagement der Stiftung Mercator und des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, dessen stellvertretender Direktor und Chefökonom ebenfalls Ottmar Edenhofer ist.
„Landkarten des Wissens“ über konsistente und gangbare Möglichkeiten für nachhaltiges Wirtschaftswachstum erstellen
Die Herausforderungen durch den Klimawandel stellen Politik und Gesellschaft vor Aufgaben hoher Komplexität. Die einfache Vorstellung, dass die Politik die Ziele einmal festlegt und die Wissenschaft dann die Mittel prüft, mit denen diese Ziele am effizientesten erreicht werden können, ist dabei nicht haltbar. Denn manche Mittel – etwa die verstärkte Verwendung von Biomasse für den Energiebedarf – können gesellschaftlich untragbare Konsequenzen haben – etwa eine vermehrte Entwaldung, höhere Nahrungsmittelpreise und den Verlust von Artenvielfalt. Hier setzt das Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) an. Die Grundidee ist, dass angesichts des Lernens über die Folgen von Maßnahmen gegen den Klimawandel und für eine nachhaltige Wirtschaft gesellschaftliche Ziele gegebenenfalls überprüft und neu bewertet werden müssen. Die Entwicklung neuer Mittel kann erforderlich werden, um Zielkonflikte zu vermeiden oder wenigstens zu minimieren.
Was sind die Ziele?
Das MCC hat das Ziel, in einem interaktiven gesellschaftlichen Lernprozess sogenannte „Landkarten des Wissens“ über stimmige und gangbare Optionen für nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu erstellen, die der Politik als Entscheidungsgrundlage dienen sollen. Dabei werden Risiken, Unsicherheiten und Wertannahmen verschiedener Pfade explizit berücksichtigt.
Wie sieht die Umsetzung aus?
Der Klimawandel und seine Folgen werden von den MCC-Experten, darunter Ökonomen, Natur- und Sozialwissenschaftler, nicht isoliert betrachtet, sondern stets im Kontext möglicher Zusammenhänge. Fünf Arbeitsgruppen wurden dafür gebildet: von „Wirtschaftswachstum“ über „Landnutzung, Infrastruktur und Transport“, „Ressourcen und Internationaler Handel“, „Governance“ bis hin zu „Assessments und wissenschaftliche Politikberatung“. Die Kernfragestellung bei allen Betrachtungen: „Wie lassen sich die Bedürfnisse der Menschen in Einklang bringen mit Klimaschutz und der Bewahrung natürlicher Ressourcen und Lebensräume?“ Das MCC gibt Publikationen heraus, die Wissenschaftler halten Fachvorträge – und sie stehen Medien als Ansprechpartner zur Verfügung.
Wie ist das Projekt organisiert?
Das MCC ist eine gemeinnützige Gesellschaft mit Sitz in Berlin, die gemeinsam von der Stiftung Mercator und dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) gegründet wurde.
Die führenden Köpfe des MCC haben sich heute, wie an jedem Donnerstag, am Konferenztisch in Edenhofers Büro zusammengefunden, um sich über anstehende Aufgaben zu beraten. Das erste Thema heute: Ein prominenter Politiker hat um einen Gesprächstermin gebeten, um sich über die Ergebnisse aktueller Forschung zu den Klimafolgen zu informieren. Alltag im MCC.
Zwei Stunden später, im Arbeitszimmer der MCC-Generalsekretärin Brigitte Knopf. Das MCC ist eine Forschungseinrichtung, die sich globaler Gemeinschaftsgüter und dem Klimawandel widmet – zielt das auf nichts Geringeres als die Rettung der von Umweltschäden wie dem Treibhauseffekt bedrohten Erde? „Wir wollen Entscheidern die Grundlage dafür liefern, damit sie die menschliche Lebensgrundlage erhalten und wirtschaftliche Entwicklung ermöglichen können“, sagt sie. „Gleichzeitig wollen wir als Wissenschaftler natürlich unseren Beitrag in der internationalen Forschungslandschaft leisten – mit entsprechenden Akzenten in der akademischen Welt.“
„Expertisen zum Klimawandel gibt es zwar reichlich. Was fehlt sind Analysen, in denen Erfahrungen mit klimapolitischen Instrumenten wie etwa dem Emissionshandel so zusammengetragen werden, dass sie Entscheidungsträger und Öffentlichkeit bei der Einführung und Reform dieser Instrumente unterstützen“, sagt Christian Flachsland. Er ist einer der beiden Leiter der Arbeitsgruppe Assessments und wissenschaftliche Politikberatung. „Am MCC erstellen wir Landkarten über alternative Handlungspfade zum Umgang mit globalen Gemeinschaftsgütern wie der Atmosphäre oder sozialen Infrastrukturen wie den Städten.“ Dahinter steht ein besonderes Verständnis von wissenschaftlicher Politikberatung: „Wir präsentieren keine fertigen Handlungsempfehlungen, sondern wir verstehen uns als Kartografen. Es bleibt der Politik überlassen, welchen Kurs sie einschlägt.“
Das MCC verfügt über ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit, was zum einen an der hohen wissenschaftlichen Reputation seiner 30 Forscher und insgesamt 40 Mitarbeiter liegt, zum anderen an der Unabhängigkeit der Forschungsarbeit, die die Finanzierung durch die Stiftung Mercator mit sich bringt. Für acht Jahre stellt sie rund 17 Millionen Euro für das MCC zur Verfügung – die höchste je von einer privaten Stiftung in Deutschland im Klimabereich getätigte Einzelförderung.
Der Klimawandel, so ist der Eindruck, steht derzeit nicht im Fokus der öffentlichen Debatte in Deutschland. Knopf nickt. „Das Thema unterliegt den natürlichen medialen Wellen“, sagt sie. In einer abnehmenden Dringlichkeit des Problems liege das aber nicht begründet. Im Gegenteil, so ist von den MCC-Experten zu hören: Die Situation sei dramatischer, als im Allgemeinen gedacht werde. Gleichwohl: Der Klimawandel und seine Folgen werden von den MCC-Experten, darunter Ökonomen, Natur- und Sozialwissenschaftler, nicht isoliert betrachtet, sondern stets im Kontext möglicher Zusammenhänge. Fünf Arbeitsgruppen (von „Wirtschaftswachstum“ über „Landnutzung, Infrastruktur und Transport“, „Ressourcen und Internationaler Handel“, „Governance“ bis hin zu „Assessments und wissenschaftliche Politikberatung“) sollen dazu forschen. Die Kernfragestellung bei allen Betrachtungen: „Wie lassen sich die Bedürfnisse der Menschen in Einklang bringen mit Klimaschutz und der Bewahrung natürlicher Ressourcen und Lebensräume?“ Denn schließlich, so das MCC-Verständnis, hilft es ja niemandem, Maßnahmen zu diskutieren, die ohnehin keine Chance auf Umsetzung haben, weil die Nebenwirkungen für Staaten und ihre Bevölkerungen untragbar wären. Deshalb gilt die Prämisse: Wachstum – ja, aber nachhaltig. Gangbare Wege aufzeigen, trotz der realen Bedrohung durch den Klimawandel Hoffnung auf Besserung machen, dies ist der Ansatz des MCC.
Wie können solche Lösungsvorschläge konkret aussehen? Felix Creutzig, Leiter der Arbeitsgruppe „Landnutzung, Infrastruktur und Transport“, nennt ein Beispiel: Bürgermeister von Großstädten hätten sich täglich mit Verkehrsproblemen wie Staus und Luftverschmutzung herumzuschlagen. Der Klimawandel sei für sie ein eher nebensächliches Thema. Wer ihnen allerdings intelligente Verkehrskonzepte präsentiere, mit denen Staus und Luftverschmutzung reduziert werden und, nebenbei, sich der klimaschädliche CO₂-Ausstoß senken lässt, der stoße auf offene Ohren. Wer dann noch vorrechnen könne, dass der Bau einer U-Bahn zwar sehr teuer, über den im Anschluss erfolgenden Wertzuwachs der Grundstücke in einer City aber finanzierbar sei, der könne Bürgermeister dann auch überzeugen. „Co-Benefit“, Nebennutzen, so heißt laut Creutzig eine erfolgversprechende Formel, mit der sich Klimapolitik praxisrelevant machen lässt. Weniger wissenschaftlich ausgedrückt: Mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen.
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